Groß Schönebecker Bürger*innen gedachten am 26. April 2018 der Ermordung der Pfarrerfamilie Wagner am letzten Kriegstag vor 73 Jahren sowie des Kriegsendes im Dorf am 28. April 1945 mit Texten zu Krieg und Frieden der Konfirmanden von Pfarrerin Sabine Müller (siehe Fotos) sowie einer Ansprache von Rainer E. Klemke. Anschließend wurden nach einem Gebet weiße Rosen am Ehrengrab der Familie Wagner auf dem Groß Schönebecker Friedhof niedergelegt.
Rainer E. Klemke sagte für den Ortsbeirat und den Bürgerverein Groß Schönebeck u.a. folgendes:
Wir gedenken heute der drei Generationen der Familie Wagner, Vater und Sohn mit vier Enkeln, Pfarrer in Groß Schönebeck und Zerpenschleuse und ihren Ehefrauen, die am letzten Kriegstag hier im Pfarrhaus zu Groß Schönebeck in bestialischer Weise von trunkenen SS-Leuten ermordet wurden.
Eigentlich wollten sie mit anderen Groß Schönebeckern vor den heranrückenden sowjetischen Truppen im Treck fliehen, verpassten aber den Anschluss und verloren auf die sinnloseste und grausamste Art ihr Leben. Nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch deutsche Soldaten aus Rumänien.
Ob dies nun ausgelöst wurde durch eine Weigerung des Pfarrers, auf dem Kirchturm ein Machinengewehrnest zu installieren, ob wegen des mit dem Davidstern der Juden zu verwechselnde Symbol über der Pfarrhaustür oder aus reiner Mordlust, kann heute nicht mehr aufgeklärt werden. Gefunden hat man die verstümmelten Toten erst am nächsten Tag nach dem Einzug der sowjetischen Truppen. Der deutschsprachige russische Major, der den Sitz der Schorfheider Forstverwaltung in der Liebenwalder Straße zur sowjetischen Kommandantur gemacht hatte, wo ihn die Meldung von dem Leichenfund erreicht hatte, nachdem seine Soldaten Haus für Haus nach deutschen Soldaten durchsucht hatten, befahl Erna Staberow die Leichen aus dem Pfarrhaus zu entfernen und schickte einen Panjewagen, um sie zum Friedhof bringen zu lassen. Mit Unterstützung unseres Großvaters Paul Grabowski, den die Russen als bekannten Antifaschisten einstweilen zum Dorfpolizisten ernannt hatten, wurden die Toten in Decken gewickelt und auf den Friedhof geschafft. Hier wurden sie unweit der heutigen hinteren Wasserstelle mit einem Vaterunser von Erna Staberow, bestattet. Das damalige Grab wurde in den 60er Jahren eingeebnet und erst wieder im Jahre 2013 mit Unterstützung der Gemeinde Schorfheide auf Initiative des Ortsvorstehers Hans-Joachim Buhrs und des Bürgervereins als Ehrengrab eingerichtet.
Groß Schönebeck ist im Krieg bis auf ein paar Granateinschläge im wesentlichen verschont geblieben. Viele Groß Schönebecker hatten sich auf den Treck nach Nordwesten begeben, der Bürgermeister und seine NS-Kumpanen hatten sich mit der Kasse und den Akten schon frühzeitig abgesetzt, andere Groß Schönebecker flüchteten sich aus Furcht vor dem Feind, dem deutsche Truppen in dessen Heimat so übel mitgespielt hatten, in die nahen Wälder. Paul Grabowski aus der Kurzen Straße ging mit einigen wenigen Begleitern und einer weißen Fahne in der Hand den sowjetischen Soldaten auf der Eichorster Chaussee entgegen und so endete der Krieg in Groß Schönebeck ohne weitere Tote.
So sehr der Anlass unseres Zusammenkommens heute ein trauriger ist, so sehr ist es auch ein Tag der Dankbarkeit. Dankbarkeit für die längste Friedensperiode in der deutschen Geschichte, die wir genießen dürfen. Dankbarkeit, dass wir den Kalten Krieg hinter uns lassen konnten und unser Land ohne Blutvergießen wiedervereinigt werden konnte. Viele Völker in aller Welt beneiden uns darum, während viele bei uns im Lande hadern und klagen und ihre elementarsten demokratischen Rechte, wie die der freien und geheimen Wahl, für die anderswo Leben gelassen werden, nicht wahrnehmen.
Keine Frage, nicht alles ist in unserem Lande so, wie wir uns das wünschen können. Es gibt vieles, was zu verbessern wäre – aber nichts kommt von allein. Jeder ist aufgerufen, das Seine beizusteuern, das in seiner Macht steht, um unser Gemeinwesen gerechter zu machen. Der britische Premierminister Winston Churchill sagte einmal, die Demokratie sei eine schlechte Staatsform – aber er kenne keine bessere. Demokratie ist so gut wie die Menschen, die sie gestalten, als Wähler*innen, als Bürger*innen, die sich für unser Land, für unsere Gemeinde engagieren. Wer sich nur als Konsument verhält und abseits steht, muss konsumieren, was ihm andere vorsetzen.
Unsere weitgehend nicht erfreuliche Geschichte ist keine zu verdrängende Bürde, sondern Verpflichtung, sich immer deren bewusst zu sein, um dafür zu sorgen, das sich Völkermord, Unterdrückung und Verfolgung in unserem Land nicht wiederholen und uns nicht in einen neuen Krieg führen.
Am 9. November 2010 fand im ehemaligen Erschießungsgraben des Konzentrationslagers Sachsenhausen die seit vielen Jahren regelmäßig durchgeführte Gedenkveranstaltung für die Opfer einer Massenmordaktion an mindestens 33 polnischen Häftlingen statt. Mühselig und im Rollstuhl sitzend war der damals 95-jährige Sachsenhausen-Überlebende Karl Stenzel aus seinem Alterssitz in Groß-Köris nach Sachsenhausen gekommen, um seiner polnischen Kameraden zu gedenken. Seine letzte Rede in der Gedenkstätte, für die er über Jahrzehnte als Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees gekämpft und sich eingesetzt hatte, war für alle, die ihm zuhörten, bestürzend. „Wir, die ehemaligen KZ-Häftlinge, wir haben versagt“, so sagte er fast flüsternd. „Wir haben geglaubt, die Welt würde aus unserer Erfahrung lernen, sie würde besser werden, keine Völkermorde mehr, kein Rassismus und Antisemitismus, kein Nationalismus, kein Krieg mehr, so haben wir in unseren unterschiedlichen Erklärungen nach der Befreiung aus den Lagern gefordert. Doch was“, so fragte Karl Stenzel weiter, „was hat die Welt aus unseren Erfahrungen gemacht?“
2017 gab es 27 aktuelle Kriege weltweit und vier sogenannte bewaffnete Konflikte. 69 Millionen Menschen sind auf der Flucht, innerhalb ihres Landes oder auch in andere Staaten. Familien werden auseinander gerissen, unzählige Existenzen werden täglich zerstört, Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt. In unserer so aufgeklärten Welt werden religiös motivierte Kriege wie zu Zeiten der Kreuzzüge geführt – nur mit unvergleichlich grausameren Waffen. Und bei uns in Europa und in unserem Land spaltet sich die Gesellschaft über die Aufnahme von Geflüchteten, obwohl in fast jeder zweiten deutschen Familien eigene Angehörige selbst einmal auf der Flucht gewesen sind.
Die Erfahrungen unserer Altvorderen sind uns Auftrag und Verpflichtung allem und allen entgegen zu treten, die einen neuen Nationalismus und damit einer neuen feindlichen Auseinandersetzung mit anderen Menschen und Völkern das Wort reden. Allen denen entgegen zu treten, die dem Garanten des Friedens in Europa, der Europäischen Union, den Garaus machen wollen und zurück zum Nationalstaat wollen, der in der globalisierten Welt ausgedient und uns immer neue Kriege beschert hat. Allen denen entgegen zu treten, die Gewalt predigen, verherrlichen und praktizieren. Aus ihr erwächst nichts Gutes, denn – um mit Erich Kästner zu sprechen - „Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es.!“
Lassen Sie uns den Tod der Familie Wagner als Erinnerung und Mahnung im Bewusstsein behalten, wohin nationalistische Hetze und Gewalt führt. Lassen Sie uns gemeinsam an unserem Gemeinwesen arbeiten, miteinander und füreinander für eine bessere Zukunft ohne Krieg und für eine sichere und glückliche Zukunft unsere Kinder und Enkel!
Ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie heute zu unserer kleinen Gedenkveranstaltung gekommen sind und ich bedanke mich insbesondere bei den Konfirmanden und unserer Pfarrerin Sabine Müller für ihre Aktion zum Thema KRIEG und FRIEDEN!