Ortsteil Böhmerheide

Legenden und Wahrheiten aus Böhmerheide VI

Geschrieben von Helmut Suter am . Veröffentlicht in Ortsteil Böhmerheide

Das Böhmerland heute

 

Wer heute nach Böhmerheide will, sucht nicht mehr die alten Böhmer, sondern
vielmehr ein Plätzchen auf der Liegewiese am Weißen See oder fährt zu seinem
Wochenendgrundstück. Mitte der 20iger Jahre suchten immer mehr Berliner
Familien auf dem Lande eine kleine Fläche, um sich dort eine Laube zu
errichten und dem Großstadtlärm zu entfliehen. Um diesem Bedarf gerecht zu
werden, ließ die Gemeinde einen Bebauungsplan durch den Architekten Zeller
1930 für die Flächen südlich des Weißen Sees erarbeiten. Danach wurden die
Waldflächen zwischen der Chaussee und dem See parzelliert und an Interessen-
ten verkauft.
Nach den damaligen Planungen war sogar vorgesehen, die gesamte Siedlung an
eine zentrale Entwässerungsanlage anzuschließen. Der Verlauf der Entwässe-
rungsleitungen, der Bau der Straßen und die Errichtung eines Strandbades war
schon zu Papier gebracht, als der Krieg auch diesem Vorhaben ein Ende
bereitete. Aber schon Anfang der 30iger Jahre wurde Böhmerheide immer mehr
Anziehungspunkt von Freizeitsuchenden. Mit der Heidekrautbahn von Wil-
helmsruh bis Groß Schönebeck und dann meist mit dem Fahrrad waren sie in
insgesamt ca. 1 1/2 Stunden in der Böhmerheide, die damals wegen der Ruhe
und Abgeschiedenheit noch begehrter war als heute.
Viele der heutigen Alteigentümer erinnern sich noch gern an die Zeit, als sie in
den Ferien hier in Böhmerheide herrliche Tage verbringen konnten. Noch tiefer
verband sich Ihre Liebe zu Böhmerheide während der schweren Kriegsjahre.
Diejenigen,die sich in Böhmerheide schon eine Unterkunft geschaffen hatten,
begannen mit dem Beginn der Luftangriffe auf Berlin für sie wichtige Gegen-
stände hier auszulagern. Manch unscheinbare Laube beherbergte wertvolles
Inventar. Nur wenigen war es vergönnt, ihre ausgelagerten Sachen nach dem
Ende des Krieges wieder in Besitz zunehmen. Was nicht gestohlen worden war,
mußte teilweise in der Nachkriegszeit gegen Lebensmittel eingetauscht werden.
Aber auch die politischen Veränderungen und der besondere Status von Berlin
verhinderten immer mehr die Rückkehr zu einem normalen Leben. Allen, die
in den Westsektoren lebten, wurde das freie Reisen in das Umland von Berlin
zunehmend erschwert. Die Methoden ähnelten denen, wie sie ehemalige DDR-
Reisende, die nach West Berlin fahren wollten, noch bis 1990 über sich ergehen
lassen mußten. Um die damaligen Verhältnisse vielleicht besser verstehen zu
können, fügen wir an dieser Stelle Auszüge aus einem Briefbei, der am 19.Juni
1952 geschrieben wurde:
" In B.H. (Böhmerheide) hat sich jetzt das Drama vollendet. Am Pfingst-Sonn-
abend haben wir uns dem großen Treck der Westberliner Siedler anschließen
müssen. Wir haben alles zurücklassen müssen und konnten noch froh sein, daß
wir unbehelligt wieder in Wilhelmsruh ankamen. Der Iwan wird nervös und
auch verrückt und dagegen ist zunächst wenig zu machen. Schärfere Abwehr-
maßnahmen könnten den dritten Weltkrieg auslösen und davor graust uns allen.
Offen gesagt, der Abschied von B.H. ist uns etwas an die Nieren gegangen,
zumal alles blüht und gedeiht, wie wir es seit Jahren nicht erlebten. Deine.sowie
auch meine Obstbäume hängen voller Früchte.( ... ) Wer da in diesem Jahr erntet,
ist noch nicht genau raus. Die ostzonalen Behörden gehen erbarmungslos vor.
Einem Westberliner Siedler am We!ßen See sind 12 Kaninchen und ca. 40
Hühner und Kücken umgekommen, weil sich niemand darum kümmern konnte,
denn er mußte alles zurücklassen.
Die Heidekrautbahn und auch die Züge nach Bernau (. .. ) sind fast leer; weil
kein Westberliner mehr in die Zone reisen darf. Ich habe (. . .),der ja im Ostsektor
Berlins wohnt, die Schlüssel übergeben und er wird am kommenden Sonnabend
mit seiner Familie nach B.H. fahren. Er wird dies laufend tun, so daß man
immerhin von dem, was dort passiert, unterrichtet ist. Mit den getroffenen
Maßnahmen hat sich das östliche System noch verhaßter gemacht als vorher
und unter der Ostzonenbevölkerung gährt es. Wie lange dieser Zustand anhal-
ten wird, vermag zunächst niemand zu sagen.
Nun, dieses Drama währte über 40 Jahre, bis die Mauer fiel und die Alteigen-
tümer wieder ohne Angst und Gefahr nach ihren Lauben und Gärten sehen
konnten. Was sie jetzt vorfanden, war für viele erschütternd. Ihre alten Grund-
stücke waren teilweise überhaupt nicht mehr auffindbar. Ihre Kinder fanden sich
ebenfalls nicht zurecht, kannten sie doch die Böhmerheide nur von den Erzäh-
lungen ihrer Eltern. Ein Problem, das nur behutsam gelöst werden kann und
nicht nur Böhmerheide betrifft.
Nach der Zwangsvertreibung der Berliner und dem Bau der Mauer begann
langsam, aber stetig eine Neuvergabe der Grundstücke. Die sogenannten West-
grundstücke wurden unter die staatliche Verwaltung der Gemeinde genommen
und dort, wo wohnbare Gebäude vorhanden waren, wurden diese an Umsiedler
oder andere Wohnungssuchende vergeben. Zu diesem Zeitpunkt für die Betrof-
fenen sicher eine Hilfe. Schon bald fanden sich neue Interessenten für die
restlichen Parzellen, die kamen aus den Führungsschichten von Partei und
Wirtschaft und fragten nicht danach, wer eigentlich im Grundbuch steht.
Für wenige Pfennige erhielten sie von den Bürgermeistern eine Fläche zuge-
wiesen und konnten sich darauf, ohne jegliche, baugestalterischen Aspekt
beachten zu müssen, eine sogenannte Datsche bauen. Es wurde verteilt und
gebaut, wo gerade Platz war. Selbst Flurstücksgrenzen waren kein Hindernis,
um einem alten Parteifreund weiterzuhelfen. Nur, wenn ein ganz normaler
Bürger im Rat der Gemeinde ebenfalls nach einem kleinen Grundstück fragte,
war keines mehr vorhanden. Mitte der 70iger Jahre gab es dann einen Minister-
ratsbeschluß, der den weiteren Ausbau der Wochenendsiedlungen einschränken
sollte, der jedoch die Klausel enthielt, daß verdiente Bürger eine Sondergeneh-
migung erhalten können. Um welche "verdienten Bürger" es sich dabei handel-
te, wußte eigentlich jeder. Dies führte auch dazu, daß der damalige Bürgermei-
ster zum Schutz dieser Bürger die Ortseingangsschilder für Böhmerheide ent-
fernen ließ; nicht jeder sollte wissen wo Böhmerheide liegt. Mit Sicherheit
haben einige Nutzer von Wochenendgrundstücken diese im Glauben des recht-
mäßigen Erwerbs erhalten, denn die historischen Zusammenhänge kannte nur
die staatliche Verwaltung.
Mit der Wende von 1989 begann für Böhmerheide ein neuer Abschnitt und zwar
die Neuordnung des Grundbesitzes, die noch einige Jahre andauern wird, denn
der Grund und Boden hat über Nacht an immensen Wert gewonnen, was die
neuen Bundesbürger sehr schnell wußten.
Es sollte heute verständlich sein, daß ein Eigentümer, der schon in den 30iger
Jahren von seinem Eigentum vertrieben wurde, nur weil er Jude war und der,
der 1950 in der Nacht gewarnt wurde, man werde ihn am nächsten Tag früh um
5 Uhr verhaften, weil er Mitarbeiter der Landesregierung war und nicht der SED
angehörte, anders behandelt werden müßte, als derjenige, der aus wirtschaftli-
chen Gründen wegging.
Sicherlich können nur die Bürger dies nachempfinden, die in ihrem Leben
ebenfalls Liebgewonnenes ohne eigenes Verschulden verloren haben. An dieser
Stelle möchten wir Teile eines Briefes zitieren, die ein Alteigentümer an den
heutigen Nutzer 1992 bezüglich seines Grundstücks schrieb:
"Mein Vater hat es bis zu seinem Tode nicht verwunden, daß sein von ihm
aufgebautes Glück in einen Scherbenhaufen verwandelt wurde ( ... ).Er hat mich
immer und immer wieder daran erinnert, daß im Falle einer Wiedervereinigung
sein geliebtes Böhmerheide seinen Enkeln zufallen solle. Ich bin nun weit davon
entfernt, Ihnen irgendeine Schuld an diesen längst vergangenen Dingen beizu-
messen; sie wäre in keinem Falle größer, als das Risiko derjenigen, die im
Dritten Reich Häuser von Juden kauften. Im Unterschied zu vielen ( ... ) denke
ich auch als altmodischer Christ nicht im Traum daran, altes Unrecht durch
neues Unrecht ausgleichen zu wollen und Sie um Ihr Haus zu bringen. Wir
werden daher eine Lösung suchen und finden müssen, die beiden Seiten Rechnung trägt. Einen Totalverzicht auf das Erbe ihres Großvaters kann ich aller-
dings vor meinen Kindern nicht verantworten."
Dieser Ausschnitt zeigt, wie sensibel diese deutsch - deutsche Geschichtsbewäl-
tigung ist. Persönlich können wir nur hoffen, daß viele Betroffene, auf beiden
Seiten, diese Einsicht und das Verständnis aufbringen werden, wie sie der oben
zitierte Schreiber des Briefes zeigt.
Nicht unerwähnt möchten wir lassen, daß sich heute einige Bürger bemühen,
Böhmerheide attraktiver zu machen, sei es im gastronomischen, gewerblichen
oder touristischen Bereich. Und wer Böhmerheide kennenlernen will, sollte
nach dem Lesen dieser Broschüre, mit einer Wanderung um den Weißen See
oder zum Treptow See beginnen.
Von dem Böhmerland ist heute nur noch der Name Böhmerheide übriggeblie-
ben, selbst die Straßennamen, die im Bebauungsplan von 1930 festgelegt
wurden, wie z.B. "Böhmer Straße" oder "Alfred-Bohm-Str.", hat man nach 1973
entfernt und umbenannt.
Damit möchten wir unsere Reise in die Geschichte des Böhmerlandes beenden.
Viele Bohrn's, die heute über den ganzen Erdball verstreut leben, kennen ihre
wechselvolle Geschichte nicht mehr. Vielleicht bietet diese kleine Broschüre
einen Ansatzpunkt zum Nachdenken und zur Besinnung auf die Geschichte
dieser Region?

Groß Schönebeck, im September 1993

 

Legenden und Wahrheiten aus Böhmerheide V

Geschrieben von Helmut Suter am . Veröffentlicht in Ortsteil Böhmerheide

Die Erben des Jürgen und Hermann Bohm

Waren es 1444 zwei, 1645 fünf Böhmer, die mit dem Böhmerland belehnt
wurden, so waren es jetzt schon neun, die sich das Erbe teilen wollten. Sie
wohnten teilweise in Groß Schönebeck, Hammer, Schmargendorfund Templin.
Aber auch aus Saane im Kanton Bern meldete sich ein Peter Baumer, der schon
in der Schweiz geboren wurde, um seinen Erbanspruch anzumelden und sich
auf seinem Teil ein Haus bauen zu können. Vermutlich haben es die Böhmer
Siegismund Lewin zu verdanken, daß der Erbanspruch geltend gemacht wurde,
denn er war der Schreiber des genannten Briefes von 1686. Er muß wohl gerade
auf Urlaub in Groß Schönebeck gewesen sein. Er war Soldat und kämpfte dort,
wo gerade Soldaten gebraucht wurden.
Mit zweien seiner Söhne schlug er sich sogar als Kurier im Türkenfeldzug. Von
ihm haben wir das einzig erhaltene Wappen der Bohm's auf Böhmerheide aus
jener Zeit in Form eines Siegels überliefert bekommen. In einem Brief vom
13. Juli 1686 an den preußischen Kurfürsten siegelt und unterschreibt er eigen-
händig mit "Sigismund Lewin Baum" (Abbildung auf dem Einband).
Das Siegel ist leider nicht vollständig abgedrückt, es ist nur zu erkennen, daß
es achteckig ist und einen geharnischten Arm mit Schwert und Krone (oder
Helm), auf der ein Baum thront, darstellt. In der späteren Zeit sind andere
Wappenformen dazugekommen, so ein Wappen aus einer schwedischen Linie,
aus dem 1937 das Wappen für die kurmärkische Linie der Bohm's abgeleitet
wurde.
Zwei Könige sterben darüber hinweg, bis man sich geeinigt hat und es am
06.02.1714 zu einer neuen Belehnung kommt. In dieser Belehnung wird der
Besitz auf acht Familien verteilt. 1714 kommt es zu der ersten Bebauung auf
dem Böhmerland. Adam Baum wird es gestattet, auf der Feldmark Alt Gröben
ein Haus zu bauen und " ... dabei notdürfig Horn Vieh zu halten." Es war damals
üblich in dem Balken über dem Kamin das Jahr des Hausbaus einzustemmen,
das tat auch Adam Baum und schlug die Jahreszahl 1715 ein. Nach 1715 kam
die Redewendung auf, daß er auf "Böhmerheide "wohnt. Um 1935 wird dieses
Haus wegen Baufälligkeit abgerissen.
Mit dem Vieh hatten die Böhmer mehrfach ihre Sorgen, nicht mit ihrem eigenen,
sondern mit dem aus dem Dorf Hammer. Am 10.03.1710 schreibt der königliche
Amtsschreiber Neuendorf über eine Streitfrage zwischen den Bohm's und der
Schäferei in Hammer: "Die Bohm's verlangen, daß die Hütung der Schweine
und Schafe in der Schorfheide über ihre Feldmark untersagt wird." Bei einer
Ortsbesichtigung wird festgestellt, daß die Hammersehen auf dem Weg zum
Treptowfließ dort entlang müssen. Würde die Hütung untersagt, bestünde die
Gefahr, daß die Schorfheide in diesem Teil verwachsen würde und die Ham-
merschen in ihrer Nutzung geschmälert würden, die sie seit 1589 inne haben.
Die Bohrn's verweisen in diesem Brief, daß sie vor mehr als 350 Jahren mit der
Feldmark belehnt wurden und ihr Erbregister 150 Jahre alt sei. Der König möge
die Sache im Guten regeln. Die Klage der Gebrüder Bohm wird zurückgewie-
sen; sie müssen weiterhin das Durchziehen der Viehherden dulden. Gleichzeitig
wird das Treptowfließ als Grenzfließ zwischen Groß Schönebeck und Liebent-
hal bestätigt. Diese Gemarkungsgrenze hat heute noch ihre Gültigkeit.
Mit der Schäferei hatten die Bohm's auch später noch ihre Nöte, in einem
Gerichtsurteil von 1802 wird ihnen sogar verboten, Schafe zu halten, da diese
im Schreiben von 1714 nicht aufgeführt worden sind. Die Bohm's haben sich
jedoch nie daran gehalten, wie eine Geschichte, geschehen um 1850, zeigt.
Damals war auf Böhmerheide der Schäfer Ballert tätig. Während der Mittagszeit
pflegte Ballert in seinem zweirädigen Karren ein kleines Nickerchen zu halten.
An seinem lauten, alles übertönenden Schnarchen konnte der Bohmsche Nach-
wuchs erkennen, daß die Luft rein war. Sie schlichen sich zu dem Karren und
mit einem kurzen Ruck, kippten sie den Karren hoch. Ballert, der voller Schreck
erwachte und meinte die Welt sei dem Untergange nahe, erkannte bald, daß die
Hoferben ihm einen Streich gespielt hatten. Wutentbrannt sprang er aus dem
Karren, ließ ein wortreiches Donnerwetter aus seinem bärtigen Munde sprudeln
und hetzte seinen Hund auf die Kinder. Der rannte bellend hinter den Kindern
her und war der Meinung, endlich wieder mit ihnen spielen zu können, als nur
den ganzen Tag auf die Schafe aufzupassen, was Ballert nochmehr erzürnte.
Ein anderes Mitglied der Bohmschen Familie siedelte sich 1783 in unmittelba-
rer Nähe des Kuhpanzsees auf der Gemarkung Hammer an. Diesen Hof nannten
sie Klein-Böhmerheide, während der 1715 an der Straße von Hammer nach
Groß Schönebeck errichtete Hof noch bis 1945 teilweise Groß-Böhmerheide
genannt wurde. 1810 ist dort ein größeres Wohnhaus mit Schilfeindeckung
errichtet worden, das heute noch zu sehen ist. Leider ist von den ehemaligen
Bewohnern die am Giebel zur Straße vorhanden gewesene alte Eiche vor drei
Jahren gefällt worden. 1897 brannte der Hof auf Klein-Böhmerheide nieder
und ist nicht wieder aufgebaut worden.
Im Januar 1806 verstarb Joachim Christian Bohm zu Groß Schönebeck. Zu
seinem Nachlaß gehörten, aus den Lehnsbriefen, Teile der Feldmark Gröben .
Leider hatte er keine männlichen Nachkommen zeugen können, so daß norma-
lerweise seine drei Töchter von denen zwei sich mit einem Mann Namens Bohm
verheiratet hatten, nicht erben konnten. Jedoch zeigten sich die Behörden
einsichtig und bestätigten 1807, daß gegen einen Erbantritt keine Einwände
bestehen.
Am 26.05.1896 löste sich die Lehnsgemeinschaft auf, alle Grundbesitzer erhiel-
ten ihren Besitz erblich verschrieben und wurden ins Grundbuch eingetragen,
was juristisch schon 1850 geschah. Bei der Auflösung fanden sich 57 männliche
Lehnsberechtigte zusammen. Als Gesamteigentum aller 57 galt nur noch der
Weiße und der Papen See. Der Papen See befand sich unmittelbar an der
Chaussee, er ist heute nur noch als ein feuchtes Luch erkennbar und bildet die
Grenze zum Biosphärenreservat, in dem die alte Siedlung von Groß Böhmer-
heide liegt.
Um 1900 hatten sich die landwirtschaftlichen Verhältnisse auf Böhmerheide
derart verschlechtert, daß sich die letzten Bohmschen Besitzer von Groß Böh-
merheide entschlossen, den Hof 1912 zu verkaufen. Die Gründe dafür sind
naheliegend, die Schafzucht brachte nichts mehr ein, weil deutsche Wolle
keinen Absatz mehr fand. Der Sohn war noch nicht erwachsen und mußte noch
seine zweijährige Militärzeit ableisten. Die Böden, meist sandig und trocken,
brachten nicht die gewünschten Erträge.
Am 06.02.1913 verkaufte Wilhelm, Julius, Theodor Bohm seinen im Grund-
buch als Landgut Groß Böhmerheide eingetragenen Besitz in einer Größe von 104

Hektar, an Werner Schimmelpfennig aus Berlin. Somit wurde Böhmerheide
Wochenendsitz und Jagdgut des Käufers. Der wiederum verkauft das Landgut
weiter an die Firma Walter Boye, die durch Zukäufe das Gut bis 1936 auf 350
Hektar vergrößerte.
Durch die Firma Boye wird der Wirtschaftshof vergrößert und auf den damali-
gen neuesten Stand gebracht. Alte Gebäude wurden abgerissen, nur das alte
Wohnhaus aus dem Jahre 1810 ließ man stehen, das noch heute besichtigt
werden kann.
Ein jähes Ende für das Landgut läuteten die neuen Herren nach 1945 ein.
Großgrundbesitz war verpöhnt. Am 30.06.1945 wurde das Gut Böhmerheide,
noch 285 Hektar groß, mit der Aktion "Bodenreform" enteignet und an "Neu-
bauern" aufgeteilt.
Mit der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften
(LPG) wurden diese ihr Land wieder los und konnten es nur noch genossen-
schaftlich bewirtschaften. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite errichteten
die Genossenschaftsbauern große Schweineställe, in denen Schweinemast be-
trieben wurde. In dieser Zeit wurde das Gut gänzlich in Grund und Boden
gewirtschaftet. Als die Schweinemast aus ökologischen Gründen eingestellt
werden mußte, hinterließen die volkseigenen Genossen das noch heute zu
sehende Chaos.
Alles hofft und wartet auf den, der den Mut hat, die Altlasten zu beseitigen und
einen Neuanfang zu wagen.
Somit geht eine fast 500jährige Geschichte zu Ende, die mit Hoffnung und
fleißiger Hände Arbeit im 15. Jahrhundert begann und die, mit Ruinen und
verseuchtem Boden, im 20.Jahrhundert endet.

Legenden und Wahrheiten aus Böhmerheide IV

Geschrieben von Helmut Suter am . Veröffentlicht in Ortsteil Böhmerheide

Die Lehnsurkunden

Um es vorweg zu nehmen, die Originale der Lehnsurkunden, die sich noch bis
zum Zeitpunkt des Einmarsches der sowjetischen Truppen im April 1945
vollständig im privaten Besitz des Stammführers der Familie Bohm in Lieben-
walde befunden haben sollen, sollen von ihm selbst verbrannt worden sein.
Somit kann heute nur noch das in den Archiven lagernde Material zu einer
Auswertung herangezogen werden. Die schon erwähnte erste urkundliche Be-
lehnung läßt erkennen, daß die Bohm's schon vor dem Jahre 1444 die Feldmar-
ken Alt und Neu Gröben in ihrem Besitz als Lehn hatten, denn es heißt: " ... alß
sie und ihre Eltern bißher gehabt haben, ... ". Also schon die Eltern nutzten das
Land. An dieser Stelle kann nur vermutet werden, daß die Eltern des Hermann
und Jürgen Bohm vielleicht das Erlebnis mit dem Markgrafen hatten.
Danach könnte es sich durchaus um eine erste mündliche Belehnung gehandelt
haben, die in die Zeit des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I. (1370 -
1440) fällt, der seit 1415 als Kurfürst die Mark Brandenburg regierte. Erst in
der Regierungszeit des Kurfürsten Friedrich II. (1440 - 1470) erhielten die
Kinder die schriftliche Lehnsurkunde ausgehändigt. Das war durchaus nicht
unüblich, den begehrten schriftlichen Nachweis später nachzureichen. Den
gleichen Vorfall finden wir fast 300 Jahre später bei der Familie Uhl in Uhlenhof
in der Nähe von Schluft. Etwas Verwirrung in die erste Belehnungszeit bringt
der Archivrat Fidicin, der 1857 schreibt, daß die erste urkundliche Erwähnung
der Belehnung aus dem Jahre 1446 stammt und einem Peter Bome übergeben
worden sein soll.
Hier kann es sich nur um einen Schreibfehler und eine Verwechselung handeln,
denn aus dem Jahre 1446 ist eine Urkunde überhaupt nicht bekannt und über-
liefert. Auch der Direktor des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg,
schreibt 1847, daß 1446 die Belehnung stattfand, aber hier an einen Burkhard
Bornen. Beide erwähnen die Urkunde aus dem Jahre 1444 überhaupt nicht.
Daß der Ritter Hans von Waldow die Belehnung schriftlich vollzog, darüber
gibt es keinen Zweifel, er war damals Nutzer des Schlosses zu Liebenwalde und
handelte im Namen seines Landesherrn. Zu der Vogtei Liebenwalde (Verwal-
tungsbezirk) gehörten damals u.a. Groß Schönebeck, Hammer, Liebenthai
sowie Grimnitz und die dazwischen liegenden sogenannten wüsten Siedlungen.
Zu den beiden wüsten Dorfstätten gehörte auf jeden Fall neben den land- und
forstwirtschaftliehen Flächen der Weiße See, der Papen-See, vermutlich sogar
der Treptow-See. Die genaue Rekonstruktion der damaligen Besitzverhältnisse
ist überaus schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, da Grundbücher, in denen
jedes Eigentum an Grund und Boden eingetragen ist, erst seit Mitte des 19.
Jahrhunderts angelegt wurden.
Die zweite bekannte Lehnsurkunde datiert aus dem Jahre 1491. In dieser wird
erwähnt, daß alle Bohrn's in Groß Schönebeck wohnen und daß sie dafür geben
müssen, " ... und zuthon pflichtig und schuldig sind. " Erstmals wird hier von
einer Pflicht gesprochen, die die Bohm's erfüllen müssen; sie mußten also für
dieses Lehn etwas tun.
Erst aus dem Jahre 1686 erfahren wir, um welche Pflicht es sich dabei handelte.
Zu den Jagdzeiten, im besonderen zu den Wolfsjagden im Winter, mußte die
Familie zwei Männer alle Tage mit je einem Pferd stellen. Doch das war nicht
die einzige Sorge, die die Böhmer hatten. So mußten beim Tode des Lehninha-
bers die Erben die Belehnung neu beantragen, das Gleiche traf zu, wenn der
jeweilige Landesfürst verstarb.
In den Wirren des 30jährigen Krieges kam es dazu, daß die Böhmer vergaßen
das Lehn neu zu beantragen. Am 24.04.1686 wenden sich die Nachkommen von
Johann, Adam und Samuel sowie die noch lebenden Brüder der Genannten,
Daniel und Caspar, die am 12.11.1645 den letzten Lehnbrief erhalten haben, an
den Kurfürsten.
In dem Brief schreiben sie:
" ... unsere Väter Johann, Adam und Samuel die Bäume zu Groß Schönebeck,
bereits vor ungefähr 12 Jahren verstorben und die noch lebenen Brüder Daniel
und Casper den Lehnbrief empfangen haben, auf uns derselben Söhne und
Lehnserben dadurch verfällt.
Ob uns wohl neu gebühret hätte nach eines jeden unserer Väter Absterbens bei
Euer Kürfürstlichen Durchlaucht die Lehn innerhalb Jahr und Tag untertänigst
zu muhten (beantragen), so ist doch solches vornehmlich darum unterlassen
worden, weil zu der Zeit wir teils unmündig, teils noch minderjährig gewesen
und keine Vormünder gehabt haben.
Auch als einfältige Land- und Bauersleute bisher in den Wahn gestanden, daß
nicht eher als auf den Lehnsherrlichen Fall (Tod des Kurfürsten), wir uns
angeben müssen und also auch aus Unwissenheit gefehlet und diese unser
Schuldigkeit bis diese Stunde noch nicht würden gewußt haben, so dann von
anderen Leuten desserz vorigen Tages nicht wären erinnert worden."
Und hier beginnt eine sich über Jahrzehnte hinziehende Auseinandersetzung
über das Erbe der Böhmer.

Legenden und Wahrheiten aus Böhmerheide III

Geschrieben von Helmut Suter am . Veröffentlicht in Ortsteil Böhmerheide

 

Das Böhmerlehn

Durch die Jahrhunderte der Zeitgeschichte hat sich eine Sage bis in unsere
heuti
gen Tage überliefert, wie die Bohm's zu der Belehnung der großen Land-
flä
chen zwischen den Gemeinden Zerpenschleuse, Hammer, Groß Schönebeck
und Lieb
enthal gekommen sind. Diese Sage ist mehrfach in verschiedene
Z
eitepochen gelegt worden, ohne auf den historischen Bezug der ersten urkund-
l
ichen Erwähnung zurückzugreifen. Der Kern der Sage blieb jedoch erhalten
und
soll hier in einfacher Form wiedergegeben werden. Zuvor jedoch der
Ori
ginaltext der ersten urkundlichen Belehnung (Belehnung bedeutet: Leihen
oder Leih
gabe) durch den Ritter Hans von Waldow aus dem Jahre 1444:

Aber lassen wir nun die Sage sprechen:

Ein sonniger, heiterer Oktobertag war es, an dem der Markgraf von Brandenburg
mit hohen Waidgenossen in den schon zu Zeiten der Askanier weit und breit
berühmt
en Jagdgründen der großen Heide der Hetze auf Hoch-und Niederwild
nachging
. Kaum begann die Sonne im Osten die Nacht zu verdrängen, war die
Jagdgesellschaft, an ihrer Spitze unser Markgraf, wie immer mit Bogen, Köcher,
Speer und dem langen Hirschfänger, von der alten Burg Grimnitz aufgebrochen.
Beim Ertönen der Jagdhörner und dem Kläffen der Jagdhunde kam in den
T
eilnehmern das Jagdfieber hoch, die den Zug begleiteten. Bald war die kleine
märkische Burg hinter ihnen, als die Meute die Spur eines Bewohners der
ur
alten Forst aufgenommen hatte. Hell durchklang der Ton der Hörner und das
w
ilde Gebell der Hunde das Dickicht des Waldes.

Schon war die Mittagsstunde überschritten und der Markgraf hatte immer noch
n
icht seinen Jagddurst an einem kapitalen Hirsch, Bären oder Keiler stillen
k
önnen. Wie der Monat Oktober sich in seinem Wetter sehr veränderlich zeigt,
so
bezog sich auch an diesem Tag in der dritten Stunde des Nachmittags der
Himmel mit trüben, grauen Regenwolken.

Der alles verdeckende Nebel legte seinen Schleier über die endlosen Weiten der
Schorfheide. Wut durchzog den Markgrafen, was war er für ein Landesvater in
d
en Augen seiner Untertanen, wenn er, der Fürst von Gottes Gnaden, ohne
seinen Speer in den Körper eines wilden Tieres gebohrt zu haben, vor sie treten
mußte. All
e Vernunft und Vorsicht vergessend, jagte er seine Sporen in die
Fl
anken seines treuen Rappen und suchte so noch das Jagdglück zu erhaschen.
Hubertus, der Schutzpatron der Jäger, hielt heute nicht seine führende Hand
über die
sen einsamen Jäger.

Das Jagdgefolge, schon in den frühen Nachmittagsstunden abgekämpft und
ermüdet zurückgeblieben, konnte seinem Herrn nicht mehr folgen. Auf allen
Wegen wurden Posten zurückgelassen, um dem Markgrafen zur Hilfe eilen zu
können, wenn er den Heimweg suchen sollte. Denn damals gab es noch keine
Wegweiser oder befestigte Straßen; hier führte ein Weg entlang und dort zog
sich ein weiterer entlang und nur die Einheimischen wußten, wohin diese
führten.

Bald senkte sich tiefschwarze Nacht über die große Heide. Der hohe Herr sah
sich allein, keine Spur von dem Wild, kein Hörnerklang war mehr zu verneh-
men. Wo war das Gefolge? So oft er auch in sein Jagdhorn blies, niemand
antwortete ihm. Wo war der Weg zur sicheren Burg? Selbst seine hilfesuchen-
den Rufe verklangen zwischen den mächtigen Eichen- und Buchenhainen.
Niemand würde ihn bei diesem Nebel und der Dunkelheit suchen können. Schon
mehrere Stunden hatte der Markgraf in schwellendem Moos und hohem Herbst-
laub seinen Weg gesucht, mehr als einmal war er über Baumwurzeln und am
Boden liegendem Geäst gefallen. Sein Jagdgewand war an mehreren Stellen
zerrissen und er selbst bis auf die Haut durchnäßt.

Da endlich sieht er zwischen den Stämmen hindurch ein Licht schimmern.
Erfreut darüber, schreitet er demselben zu, in der Hoffnung, endlich den Weg
zu einem sicheren Dorf gefunden zu haben. Doch nicht ein erleuchtetes Fenster
im Dorf war es was er sah, sondern ein glühender Kohlenmeiler, der durch die
Rasenstücken kleine Flammen züngeln ließ. Er war auf die Köhler aus Groß
Schönebeck gestoßen, die sich bereits in der abseits stehenden, halbverfallenen
Hütte zur Nachtruhe gelegt hatten. Durch das Anschlagen ihrer Hunde erwacht,
beäugten sie den Fremden, den sie noch nie gesehen hatten äußerst mißtrauisch,
denn zu ihnen hatte sich noch niemand verlaufen.

Der Markgraf war an die Stelle der Heide gelangt, die sich im Barnim so
ziemlich in der Mitte zwischen Liebenwalde und Groß Schönebeck hinzog. Hier
pflegten die Bohm's als Köhler ihre Meiler abzubrennen, hierher war der
Markgraf mit seinem Gefolge noch nie gekommen. Der hohe Herr, denn ein
solcher mußte es sein, wie die Bohm's aus seiner zwar zerrissenen, doch teuren
Kleidung und seiner Haltung schlossen, fragte, ob ihm der nächste Weg nach
der Burg gezeigt werden könne. "Mehr als zwei Stunden entfernt liegt die Burg
und der Weg geht von hier aus nur auf einem Fußpfad, der oft so große
Krümmungen hat, daß man bei der großen Finsternis diesen bald verfehlen
würde
", antworteten die Bewohner der großen Heide.

Sie boten dem Fremdling an, die Nacht in ihrer bescheidenen, aber sicheren
Hütte zu verbringen. Der Markgraf bekam ein wenig Angst, als er sich im
Fackelschein die überaus großen und kräftigen Gestalten näher ansah. Ein
Blick in die Augen der geschwärzten Leute gab ihm jedoch Zuversicht, es waren
die Augen treuer, märkischer Untertanen, nicht solcher, wie die der Quit-
zow'schen Anhänger, die der Markgraf in dieser unruhigen Zeit in die Schran-
ken zu weisen hatte.

Kurz entschlossen, erklärte er sich bereit, bei ihnen bleiben zu wollen, sagte
ihnen aber auch, daß sie eine große Verantwortung auf sich nehmen würden,
wenn ihm ein Leid zugefügt werde. Mit den Worten: "Denn ich bin Euer
Landesfürst" , gab er sich zu erkennen. Die Köhler fielen vor ihm auf die Knie
und gelobten, mit ihrem Leben für die Sicherheit des allergnädigsten Landes-
herrn einzutreten. Nach einem Abendgebet, das mit der Bitte um Schutz für die
Nacht schloß, legte sich Brandenburgs Markgraf in der Köhlerhütte der Bohm's
zur Ruhe. Die Köhler aber schlossen während der Nacht kein Auge. Mit
wuchtigen Enden aus Eichenholz in den Händen standen die markigen Gestalten
am Eingang ihrer Hütte und behüteten die Ruhe und das Leben ihres Herrn.

/

Als sich am anderen Morgen bei herrlichem Wetter der Markgraf in ihrer

Begleitung auf den Heimweg begeben wollte, sagte er den Bohm's einen
Wunsch für ihre treuen Dienste zu. Nach langem Zögern äußerten sie: "Gern
hätten wir auf die Löhnung verzichtet, aber wollt ihr uns zu Gunsten sein, so
wollen wir einen Wunsch an euch richten. Gebt uns etwas Land." Der hohe Herr
erwiderte: "Ihr habt bereits mein Wort,ihr sollt soviel Land euer eigen nennen,
wie ihr an einem Tag mit einem Ochsen von Sonnenaufgang
bis Sonnenunter-
gang umzupflügen vermögt. Zinsfrei soll es sein immerfort, ein männlich Lehn
bis eures Stammes Ende. "

Und so zogen die Bohm's mit einem Ochsen und einem hölzernen Pflug, der
mehrmals in dem Waldboden zu zerbrechen drohte, eine Furche um ein Gebiet,
das wir heute als Böhmerheide kennen. Der Markgraf erkannte bald, daß sie
sich wohl etwas mißverstanden hatten. Er dachte beim Pflügen, daß Furche an
Furche liegt und nicht daran, daß die Bohm's einen großen Bereich umpflügen
würden. Er hielt aber sein gegebenes Wort und begründete damit ein fast 500
Jahre andauerndes Lehngutsgeschlecht.

Damit endet die Sage von dem Böhmerlehen. Eine andere, ähnliche Version, in
Gedichtform niedergeschrieben, legt das Ereignis der Belehnung in die Zeit des

Kurfürsten Sigismund, der von 1608 bis 1619 regierte. Damals soll ein Jacob
B
ohm als erster das Lehn empfangen haben.