Der stolze Hausherr Jürgen Bohm mit seinen festlich geschmückten Erntewagen
Zwar lachte der Himmel diesmal nicht beim Groß Schönebecker Erntefest am 29. September 2019, wohl aber die Landwirte und Gartenbesitzer: Endlich Regen auf die ausgedörrte Erde! Hunderte Schorfheiderinnen und Schorfheider ließen sich vom angesagten Sturm und Regen nicht abschrecken und fanden den Weg auf den Traditionsbauernhof von Jürgen Bohm. Dicht gedrängt unter dem Schleppdach und großen Zelten verfolgten sie den Erntedankgottesdienst von Pfarrerin Sabine Müller und dem Chor der Immanuelkirche unter der mitreißenden Leitung von Ron Randolf, in deren Darbietungen auch das Publikum mit einstimmte.
Die sehr nachdenkliche Predigt der Pfarrerin mit vielen aktuellen Bezügen war auch später an den Tischen Gesprächsgegenstand und wurde allgemein gelobt, weshalb sie am Schluß dieses Artikels dokumentiert wird.
Unter dem rieselnden Herbstlaub der Obstbäume im Bauerngarten erfreute der Chor der Immanuelkirche unter Leitung von Ron Randolf mit Gospels
Der Gottesdienst und die Predigt standen unter dem Thema Birne und "unbezahlbar", wobei Schüler unserer Grundschule Fontanes Ribbeck-Gedicht interpretierten und berichteten, was sie und die Besucher des EDEKA-Marktes als "unbezahlbar" empfinden. Dabei standen Familie, Freunde, Gesundheit, Frieden und eine gesunde Umwelt an vorderster Stelle.
Pfarrerin Sabine Müller mit den Schülern, die an einem langen gedeckten Tisch auf verpackten Tellern Stimmen gesammelt hatten, was die Besucher des EDEKA-Marktes für "unbezahlbar" einstuften. Pfarrerin und Schule hatten dabei ein Kunstprojekt von Johannes Volkmann aufgegriffen, der diese Tische in verschiedenen Städzten der Welt aufgedeckt und danach gefragt hatte, was die Menschen dort als "unbezahlbar" für sich empfinden.
Unter dem Schleppdach und in Zelten saßen die Schorfheider aus fast allen Ortsteilen dicht gedrängt beim Erntefest auf dem Traditionsbauernhof bei bester Stimmung
Andreas Zeidler begrüßte erstmals als neuer Ortsvorsteher, unterstützt von den Schorfheider Jagdhornbläsern unter Leitung von Klaus Diezel, die Gäste und dankte Jürgen Bohm und seinem Team, dass sie wiederum das Erntefest für die Schorfheider ausgerichtet haben.
Für das leibliche Wohl war mit Grill, Eis, Gulaschkanone und Dampfkessel für Kartoffeln mit Quark sowie einem großen Kuchenbuffet gesorgt. Außerdem gab es heimisches Obst aus Werder und Kürbisse und Eingemachtes aus Liebenthal.
Das geplante Korndreschen musste wegen der Feuchtigkeit leider ausfallen, dafür durfte zu den Klängen der Original Schorfheider mit Alt-Ortsvorsteher Hans-Joachim Buhrs an der Spitze (im Bild unten rechts) wieder das Tanzbein geschwungen werden.
Predigt zum Erntedankfest 2019 „Was ist unbezahlbar?“
( nach einer Idee und mit Erlaubnis des Künstlers Johannes Volkmann, Nürnberg, www.daspapiertheater.de)
Predigttext: Lukasevangelium Kapitel 12
15 Und Jesus sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
Liebe Gemeinde!
Im Herbst 2008 telefoniert der damalige Chef der Deutschen Bank Joseph Ackermann mit Kanzlerin Merkel. Nach der Bankenpleite in Amerika droht auch ein Zusammenbruch des deutschen Finanzsystems. Es ist ein Sonntagabend und Joseph Ackermann will A. Merkel überzeugen bis Montagfrüh zur Börsenöffnung die Banken zu stützen. Wir wissen nicht, was die beiden geredet haben. Einen Tag später wird Angela Merkel dem sog. Rettungsschirm zustimmen, einem stattlichen Rettungspacket von 30 Milliarden Euro. Wahrscheinlich waren es mehr.
Noch einen Tag zuvor hat die Bundesregierung erklärt, dass es nicht mehr Geld für Bildung, Schulen und Kitas geben wird, weil kein Geld da wäre.
Der junge Künstler Johannes Volkmann aus Nürnberg war empört. Warum war Geld für Banken da und nicht für Schulen und Kindergärten? Dies war der Auslöser für sein Projekt „Unbezahlbar“.
Und er schickte eine Frage um die Welt: Wie wollen wir leben? Und mit dem Blick auf das Geld: Was ist unbezahlbar?
Johannes Volkmann stellte einen 50 Meter langen Tisch vor das Nürnberger Rathaus. Er legte weiße Papiertischtücher darauf und stellte Teller hin und Besteck, die ebenfalls in Papier gewickelt waren. Menschen, die vorbei kamen konnten mit Eddings darauf schreiben, was Ihnen das Wichtigste im Leben ist, was sie nährt in ihrem Leben. Was für sie UNBEZAHLBAR ist.
Und diesen Tisch stellte er nicht nur in Nürnberg auf, sondern auch in Mumbai in Indien, Alexandria in Ägypten, Erfurt, Galaway in Irland, Barcelona in Spanien, in Bethlehem, Palästina….
Überall blieben Menschen stehen und dachten nach, Erwachsene und Kinder, sie redeten miteinander, sie schrieben auf was für sie unbezahlbar ist….
Auch wir hier in Groß Schönebeck haben so einen Tisch aufgestellt, keine 50 Meter, aber 6 Meter. Kein Bankenrettungsschirm war unser Anlass, sondern das Thema BIRNE und das Gedicht von Theodor Fontane „Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.“ Wir wollen es jetzt hören:
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit, und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl, der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher, so rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn, kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam. Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit, wieder lachten die Birnen weit und breit; da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins Grab.« Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus, trugen von Ribbeck sie hinaus, alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht, sangen »Jesus meine Zuversicht«, und die Kinder klagten, das Herze schwer: »He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht, ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart, hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat, als um eine Birn' ins Grab er bat, und im dritten Jahr aus dem stillen Haus ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab, längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab, und in der goldenen Herbsteszeit leuchtet's wieder weit und breit. Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her, so flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?« und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.« So spendet Segen noch immer die Hand, des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Liebe Gemeinde! Was geben wir an die nächsten Generationen weiter?
Herr Ribbeck sorgt für die Generationen nach sich. Sie sollen nicht betteln müssen, nicht abhängig sein, von knauserigen Menschen, die nur an ihren eigenen Vorteil denken. Sie sollen genug Nahrung haben, genug Birnen und Äpfel und Brot und Milch.
Wie wollen wir leben? Und was wollen wir an unsere Nachkommen weitergeben, nicht an Besitz, sondern an Unbezahlbarem.
Es war gar nicht schwer, auch in Groß Schönebeck Antworten auf diese Frage zu bekommen. Am Anfang war es schleppend. Die Schulkinder waren noch nicht so mutig, Menschen an unsere Tafel einzuladen, aber bald trauten sie sich. Nicht immer wurde ihre Frage: Was ist für Sie unbezahlbar? Beantwortet. Mancher Erwachsene wollte so etwas nicht mit Kindern bereden. Doch: Mit den Kindern wird zu reden sein.
Aber erst einmal hören wir einige der Antworten:
Meine Familie, die Liebe, Frieden. Natur, Schöpfung, die Umwelt, meine Kinder, meine Enkel, die Erinnerung, Glück, mein Haustier, eine Umarmung, der Blick auf eine Sonnenblume, Freunde, die Natur…… u.v.a.m.
Die Kinder, liebe Gemeinde, machen es uns vor in diesen Tagen.
Sie gehen mit Greta Thunberg auf die Straße. Mit all ihren Fragen. Wie können wir leben, damit wir eine Zukunft haben? Und wie habt ihr Erwachsenen bis jetzt gelebt?
„Seid ihr wegen der Umwelt hier?“ fragte ein älterer Mann uns an unserem Tisch. Und wir dachten, jetzt regt er sich gleich über Greta auf und den Hype, aber nein, er sorgt sich um seine Bäume vor seinem Haus, die das 2. Jahr dürsten, sie sind so alt wie er und wie lange werden sie noch leben. „Die Natur“ schrieb er auf seinen Teller für das, was ihm unbezahlbar ist – das fand ich sehr berührend.
Oder „die Erinnerung“ sagte ein Mann, der mit dementen Menschen arbeitet. Wenn Demenzkranke ihre Kinder nicht mehr erkennen, ihre Partner, wie traurig dies ist, wenn sie nicht mehr in Beziehung treten können…. Beziehungen war sowieso ein ganz wichtiger Punkt auf den Tellern. Kinder, Enkel, Partner, die Liebe, ein gutes Miteinander. Alle wollen es. Warum ist es so schwer?
Wir feiern Erntedank. Es ist Zeit für Dank und Zeit für die großen Fragen, denn es geht um die Zukunft.
Wir feiern dass etwas wächst und gedeiht, dass es Früchte gibt und Korn. Ein Wunder! Ja, der Sommer war trocken, und Jürgen Bohm und seine Helfer hatten Mühe, den Erntewagen zu schmücken dieses Jahr. Aber es hungert doch niemand, oder?
Nein, bei uns muss niemand hungern, aber das ist woanders anders. Und das hat mit uns zu tun. Dass wir immer mehr wollen, immer reicher werden, immer dicker, das ist das Problem. Wir sind das Problem. Unser Wohlstand geschieht auf Kosten anderer. Wachstum ist das Zauberwort.
Uns geht es gut. Was geht uns der Rest der Welt an? Iss und trink. Seele, sei guten Mutes…. so sagt es der Bauer in der Bibel, er sieht nur sich.
In der biblischen Geschichte wird nach dem Nutzen solchen egoistischen Wohlstandes gefragt. Ihn nur für sich behalten?
Ribbeck auf Havelland hat diese Frage für sich anders beantwortet. Er will das etwas weitergegeben wird. Sein Verständnis von Wohlstand ist anders als schon das seines Sohnes.
Was nutzt der Reichtum? Wofür wird er verwendet? Für Nachhaltigkeit? Ein FDP-Politiker sagte neulich, dieses ganze Gerede von Nachhaltigkeit verstehe er nicht. Damit wird man vielleicht Moral- Weltmeister aber nicht wirtschaftlicher Führer in der Welt.
Tja, vielleicht ist es an der Zeit Moralweltmeister zu werden. Gerade für Deutschland? Was spricht gegen eine Moral? Gegen eine menschenfreundliche Ethik? Gegen Werte, die sich daran orientieren, wie es allen gut gehen kann, wie Gerechtigkeit allen widerfahren kann?
Scheinbar müssen uns erst die Kinder sagen, dass nicht Wachstum wichtigste ist, sondern eine gesunde und gerechte Welt.
Dazu muss man mit den Kindern ins Gespräch kommen, sie nicht abtun mit ihren Fragen. Mit ihnen über das Unbezahlbare reden, über das, was im Leben zählt.
Was uns wichtig ist, können wir teilen, nicht nur in unseren Familien, sondern auch im Dorfgefüge, im Gedanken der Gemeinschaft, der gegenseitigen Achtung und in freundlichen Formen des Umgangs mit uns und mit der Schöpfung. Auch daran erinnert uns Erntedank. Denn Reichsein meint nicht viel Geld haben. Reichtum meint etwas anderes. Lassen Sie uns darüber reden und überlegen, was das ganz konkret für unser Leben heißt. Und für unsere Zukunft, für die Zukunft unserer Kinder, denn darum es.
Amen.
Pfarrerin Sabine Müller, 29.9.2019