Willkommensteam schreibt an Woidke, de Maiziére undBundes- Migrationsbeaftragte Aydan Özoguz
Im Auftrag des Willkommensteams des Bürgervereins haben Teamleiterin Annette Flade und Sprecher Rainer E. Klemke an den Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke, Bundesinnenminister Thomas de Maiziére und die Bundesbeauftragte für Migration und Flüchtlinge Aydan Özoguz den im folgenden in der Fassung des MP-Briefes dokumentierten Brief geschrieben. Ziel des Schreibens ist es, der Politik das Dilemma vor Augen zu führen, das aus der auch von der Politik propagierten und hier gelebten Akzeptanz und Willkommenskultur für die Flüchtlinge einerseits und aus der amtlichen Abschiebepraxis andererseits resultiert. Die langjährigen Versäumnisse der Politik, eine geregelte Einwanderungspoiltik zu betreiben und langfristige Lösungen zu entwickeln führen dazu, so das Willkommensteam, dass aufgrund der der Entwicklung hinterherlaufenden Krisenmanagementpolitik die sozialen Gruppen untereinander in Konflikt geraten, dass für die betroffenen Flüchtlinge und vor allem für deren Kinder unzumutbare Situationen über Jahre festgeschrieben werden und dass aufgrund der unzureichend ausgestatteten betroffenen Verwaltungen nur durch bürgerschaftliche Nothilfe halbwegs geregelte Abläufe sichergestellt werden können.
Willkommensteam des Bürgervereins Groß Schönebeck/
Schorfheide e.V.
An den Ministerpräsidenten
des Landes Brandenburg
Herrn Dr. Dietmar Woidke
Landesregierung Brandenburg
Staatskanzlei
14473 Potsdam Schorfheide, den 06. Juni 2015
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Die Landesregierung hat dazu aufgerufen, eine Willkommenskultur für die Aufnahme von Flüchtlingen zu entwickeln. Wir haben diesen Aufruf ernst genommen und bei uns als einem der ersten Dörfer im Land Brandenburg ein 28köpfiges Willkommensteam gebildet, dem auch Bürgerinnen und Bürger umliegender Ortsteile angehören, um unsere Einwohner mit Rundschreiben und Dorfgesprächen für die Aufnahme von Flüchtlingen vorzubereiten.
Wir haben zusammen mit dem Landkreis bei uns Flüchtlingsfamilien in Wohnungen in unserer Kita und Schule untergebracht. Wir haben unsere deutschen Kinder und Jugendlichen in Kita, Schule und Jugendclub auf die Ankunft der Flüchtlinge mit speziellen pädagogischen Angeboten vorbereitet. Wir haben „unsere“ tschetschenischen und syrischen Flüchtlinge, die z.T. ohne Ankündigung bzw. in anderer Zahl bei uns eintrafen, willkommen geheißen und ihnen geholfen, den Zumutungen unserer Bürokratie zu begegnen, ohne amtlichen Ansprechpartner vor Ort immer wieder von Groß Schönebeck über Berlin-Karow, Bernau und Eberswalde zu den Ämtern fahren zu müssen, z.T. ohne Geld und nicht in der Lage, die deutschsprachigen Fahrkartenautomaten zu verstehen. Wir haben uns frei genommen und sie mit dem Auto zu den Terminen gefahren, die willkürlich anberaumt und für einzelne Familienangehörige getrennt angesetzt wurden, was wiederholte Fahrten erforderlich machte. Wir haben uns um die Bürokratie für die Kostenübernahmen für Kranke gekümmert und haben z.T. drei Ärzte in verschiedenen Städten anfahren müssen, um eine Behandlung zu ermöglichen. Wir haben uns tageweise frei genommen, um Flüchtlinge nach Eisenhüttenstadt zu Anhörungen zu fahren, wohin sie morgens um 8 Uhr bestellt worden waren, obwohl es dazu überhaupt keine Verkehrsverbindung gibt. Wir haben die Mütter mit ihren Kindern zu Schuluntersuchungen nach Bernau gefahren, weil das bei den Erstaufnahmen versäumt worden war. Dadurch konnten sie wochenlang nicht die Schule besuchen, weil erst auf die Ergebnisse gewartet werden musste. Wir haben Sprachkurse vor Ort eingerichtet und dafür gesorgt, dass daran auch die Mütter teilnehmen konnten (amtliche Aussage: „Die sollen doch auf die Kinder aufpassen!“). Wir haben zahlreiche Anträge für die Flüchtlinge ausgefüllt, Briefe geschrieben und sie zur Bank begleitet, damit sie Konten eröffnen konnten, auf die dann das völlig überlastete und unterbesetzte Grundsicherungsamt z.T. doch nicht die Unterstützungen überwiesen hat und diese dann in Eberswalde abgeholt werden mussten. Wir haben eine TAFEL ins Dorf geholt, um sowohl unseren dörflichen Bedürftigen wie auch den Flüchtlingen Zugang zu kostenarmen Lebensmitteln zu ermöglichen, um damit mögliche Konflikte zu entschärfen. Wir haben die Flüchtlinge u.a. mit Fahrrädern ausgestattet, damit sie sich frei bewegen können, was besonders für die Kinder eine unglaubliche Freude war. Wir haben versucht, seelischen Beistand zu leiten und auch Seelsorge für die traumatisierten Flüchtlinge, die furchtbares erlebt und durchlitten haben.
Wichtiger noch:
Wir haben Freundschaft geschlossen mit „unseren“ Familien Mezhidov, Arsunkaeva, Baydueva, und den beiden Familien Mifleh. Wir haben sie in unsere Sportvereine aufgenommen, unsere Kinder spielen mit deren elf Kindern auf dem Spielplatz und den Höfen, wir treffen uns beim Willkommenskaffee und anderen dörflichen Festen und Gelegenheiten, bei denen sich die Flüchtlinge aktiv einbringen. Die „Paten_innen“ der einzelnen Familien, die Schulbetreuer_innen und die Sprachlehrer_innen sind sind wie die Teamleiterin von Ansprechpartner_innen der Familien zu Freunden geworden, zu denen die Flüchtlinge Vertrauen gefasst haben.
Kurz, wir haben den wohlfeilen Begriff der „Willkommenskultur“ ernst genommen. Nun aber erfahren wir, dass es auf eine Drehtür-Betreuung wie bei der Bahnhofsmission (einen heißen Tee, ein paar Decken und dann geht’s weiter...) hinausläuft: Einzelne Familienangehörige erhalten Ankündigungen für die Einleitung von Abschiebungsverfahren, sollen also von ihren Angehörigen, von Vätern und Ehemännern, von Söhnen und anderen Verwandten getrennt und nach dem Dublin-Abkommen in Vertragsstaaten abgeschoben werden, z.B. nach Polen oder Ungarn, wo sie keine Betreuung erwartet, wo sie erneut allein gelassen werden, erneut sprachlos und isoliert ohne Perspektive in Lagern leben sollen, die wir ihnen hier bieten können.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
wie stellt sich die Politik unter diesen Umständen eine „Willkommenskultur“ vor? Wie sollen wir unsere Aktiven und das Dorf motivieren, neue und auch vermehrt Flüchtlinge aufzunehmen? Kann es eine „Drehtür-“ Willkommenskultur geben? Wir alle wissen, dass es nicht leicht war, nach dem Krieg über acht Millionen Heimatvertriebene aufzunehmen. Das ging nicht ohne Konflikte. Und der Westen des Landes hat über drei Millionen DDR-Flüchtlinge/Übersiedler aufgenommen, die es bis in höchste Staatsfunktionen und Wirtschaftspositionen geschafft haben. Alle diese aber hatten die Chance, in der Bundesrepublik eine Perspektive aufzubauen. Sie alle konnten sich integrieren und Beziehungen zu ihrer Umgebung eingehen.
Wenn Sie und andere Politiker_innen nun appellieren, sich den Flüchtlingen zu öffnen und sie aufzunehmen, gegen alle Vorurteile anzukämpfen und zu helfen, dann müssen Sie und die deutsche Politik allgemein auch dafür stehen, dass die Bereitschaft, dies zu tun, nicht dadurch ad absurdum geführt wird, dass solche vielfältigen ehrenamtlichen Anstrengungen sinnlos werden, wenn die uns anvertrauten Menschen nach kurzer Zeit wieder des Landes verwiesen werden. Treten Sie dafür ein, dass einmal aufgenommene Menschen hier bleiben und ihre sozialen Bezüge entwickeln und ausbauen können, dass die Kinder nicht herumgestoßen werden, sondern sich eine neue Heimat erobern und ihren Frieden finden können, nach all' dem, was diese zarten Seelen schon haben ertragen müssen!
Geben Sie denen, die zu uns gekommen sind, um der Not und dem Terror in ihrer Heimat entkommen, eine Chance auf eine Leben in Frieden!
Unser Asylrecht ist ursprünglich entstanden aus der Erfahrung der NS-Verfolgung von Juden, Sinti und Regimegegnern, die in anderen Ländern keine Aufnahme fanden, weil die sich damals mit ähnlichen rechtlichen Hürden, wie sie die EU nun immer weiter aufbaut, vor Zuwanderung aus Nazi-Deutschland schützten. Mit der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße in Berlin erinnern wir daran, wie Menschen aus der DDR daran gehindert wurden, in die Freiheit und in einen bürgerlichen Wohlstand zu entfliehen, aber wir errichten nun an den Außengrenzen der EU eine neue Mauer, die ähnliches bewirkt und wo fast täglich mehr Menschen sterben als in 28 Jahren an der innerdeutschen Grenze.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
was sagen wir den Kindern und Jugendlichen, die bei uns Aufnahme gefunden haben, die freundschaftliche Bande geknüpft haben mit Gleichaltrigen und gerade dabei sind, Fuß zu fassen, wenn sie – entgegen der Intention des Grundgesetzes - nun in unzumutbare Lager nach Polen, Bulgarien oder Ungarn geschickt werden sollen.
Und was sagen wir den ehrenamtlichen Helfern, die Ihren Aufruf ernst genommen haben, die unzählige Stunden für die Betreuung der Familien, Geld und Sachleistungen gespendet haben, die Freundschaften geschlossen haben? Wie sollen wir die motivieren, wenn nun die nächsten Flüchtlinge dringend einer umfassenden Unterstützung in einem Dorf abseits der Ämter und Verkehrswege bedürfen?
Und abgesehen von der menschlich-moralischen Seite:
Wie sieht unsere Zukunft z. B. Bei uns im Barnim/Uckermark und im Land Brandenburg generell ohne massive Zuwanderung aus? In unserer Gemeinde Schorfheide ist derzeit schon jeder Dritte über 60 Jahre alt, 10% sind über 80 Jahre. Demnächst fehlen in der Uckermark und im Barnim 3.600 Pflegekräfte, die nicht durch deutsche Arbeitskräfte ersetzt werden können. Das wird sich in der Zukunft noch dramatischer entwickeln. Gibt es einen Masterplan der Landes oder des Bundes, wie dieser seit langem absehbare Notstand bewältigt werden kann? Müssten wir nicht für jede Familie mit Kindern dankbar sein, die sich bei uns niederlassen will wie einst die Hugenotten oder die Holländer? Gerade hier auf dem Lande brauchen wir dringend eine anhaltende Zuwanderung oder wollen wir die Dörfer aufgeben und alle nach Berlin ziehen, wo die Bevölkerungsstruktur dank der massiven Zuwanderung aus der Türkei und mittel-/osteuropäischen Staaten noch etwas besser ist?
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
setzen Sie sich mit unserer Landesregierung dafür ein, dass die Menschen, die bereits in Wohnungen untergebracht und in die Dorfgemeinschaft integriert sind und Fuß gefasst haben, hier mit ihren Kindern ein neues Leben aufbauen dürfen! Setzen Sie sich dafür ein, dass ihre Träume von einer neuen Heimat, in der sie ohne Todesangst leben können, in Erfüllung gehen. Verhindern Sie, dass sie mit Ihren Kindern erneut auf eine Odyssee in unzumutbare osteuropäische Lager geschickt und erneut traumatisiert werden. Sorgen Sie dafür, dass sie hier für ihren Unterhalt selbst arbeiten dürfen! Setzen Sie sich dafür ein, dass sie keine Neubürger auf Abruf sein müssen!
Mit freundlichen Grüßen
Rainer E. Klemke
Sprecher des Bürgervereins Groß Schönebeck/Schorfheide e.V. und des Willkommensteams
Tel.:0152 34142946
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Pfarrerin Annette Flade
Leiterin des Willkommensteams