Feuer im Jugendweihesaal
Es versprach ein sonniger Frühlingstag zu werden. Die Sonne strahlte und ein frischer Wind fegte die Wolken weg. An jenem Sonnabend, den 18. April 1974, legten aufgeregte Mütter letzte Hand an das neue Kleid ihrer Tochter oder bügelten den ersten guten Anzug ihres Sohnes, während die Väter noch Festgäste von der Bahn abholten. Heute war für 11 Uhr Jugendweihe im großen Saal von Regling’s (vormals „Zeumer“, vormals „Stadt Prenzlau“) Gasthof in Groß Schönebeck angesagt, aber es sollte alles anders kommen, als lange zuvor geplant.
Der Sattlermeister Wilhelm Beyersdorf von der freiwilligen Feuerwehr war gerade dabei, dem lang herbeigesehnten Dachdecker auf dem Dach seines Hauses die Ziegel zuzureichen, als dieser ihn kurz vor 10 Uhr fragte, was denn wohl die sich verdichtenden Rauchwolken bedeuteten, die er vom Dach aus über der Berliner Straße in Höhe des Gasthofes „Stadt Prenzlau“ aufsteigen sah. Beyersdorf rannte daraufhin hinüber zur Feuerwache an der Prenzlauer Straße hörte da schon die Sirene, mit der die Kollegen von der freiwilligen Feuerwehr herbeigerufen wurden. Die Sirene wurde auch von der Wirtin des Gasthofes, Lore Regling gehört, die in ihrer Wohnung im Obergeschoß des Gasthofes in den ehemaligen Gastzimmern ihre Wohnung hatte. Sie trat auf ihren Balkon und sah zuerst den schon in Flammen stehenden Lebensbaum vor dem Festsaal und dann ihren durch eine Kriegsbeschädigung am Bein behinderten Mann Herbert vom Bürgersteig her rufen. Sie flüchtete schnell aus dem Haus als auch schon die Feuerwehr eintraf und begann, die Schläuche auszulegen. Die Rettungskräfte sahen sofort, dass der Bau angesichts des Brandfortschrittes und des anhaltenden Windes nicht mehr zu retten war. Das ausgetrocknete Holz des Bodens, die Dachkonstruktion, die Bühne mit den darunter gelagerten Turngeräten des Sportvereins, der hier regelmäßig übte, und die schweren Vorhänge, die den ehemaligen Filmsaal verdunkelten, brannten wie Zunder. So mussten sie sich darauf beschränken, die anliegenden Gebäude zu evakuieren und ein Übergreifen des Feuers zu verhindern.
Mittlerweile mischten sich unter die Schaulustigen und Helfer die ersten Jugendweiheteilnehmer und deren Gäste, die sich für diesen Tag ein anderes, weit erfreulicheres Ereignis versprochen hatten. Schnell besprach man sich, was nun zu tun sei und verlegte die Jugendweihe in die nahe gelegene Turnhalle hinter der Schule, wo sie schließlich in aller hastigen Improvisation über die dort nicht vorhandene Bühne ging.
Noch während der Löscharbeiten wurde über die Ursachen des Brandes spekuliert. Es kursierten zwei Varianten. Die einen sprachen von einem Sabotageakt gegen die Jugendweihefeier, die anderen von einem Schwelbrand infolge eines defekten Gerätes oder unzureichender Stromkabel. Letztere ist aus der Geschichte des Saales die wahrscheinlichere. Er wurde in einer Zeit erbaut, da die Stromrechnung noch nach der Zahl der Steckdosen berechnet wurde und deshalb gab es im Saal nur ein einzige. Diese wurde für die Filmvorführungen genutzt, die seit der Weimarer Zeit im Saal liefen und von der UfA, die hierher von 1941 bis zum Kriegsende eines ihrer Tonstudios ausgelagert hatte. 1949 hatte Herbert Regling die Gaststätte von seinem Großvater übernommen, die bei Sovexport, beim Finanzamt und der Brauerei schwer verschuldet war, weil er sich, obwohl schwerbeschädigt, in der Familienpflicht sah, die Tradition fortzuführen. Er hatte Toiletten ins Haus eingebaut, den Schwamm infolge der russischen Getreideeinlagerungen im Saal beseitigt und das Obergeschoß ausgebaut, den Veranstaltungssaal aber dann an die Gemeinde verpachtet, die ihn als Veranstaltungssaal nutzte und dafür für die Inneneinrichtung die Verantwortung übernahm. Für die Jugendweihe und andere Veranstaltungen wurde eine Veranstaltungstechnik mit starker Beleuchtung und Beschallung angeschafft, deren Stromversorgung über eine quer durch den Saal verlegte Verlängerungsschnur erfolgte. Das dies unzureichend war, war offenbar bekannt, weshalb sich Herbert Regling bis zu seinem frühen Tod nur ein gutes halbes Jahr nach dem Brand immer wieder vorwarf, der Gemeinde nicht genug Druck gemacht zu haben, in eine zeitgemäße elektrische Anlage zu investieren. Der überaus beliebte Gastwirt galt als nicht sehr konfliktfreudig, weshalb die Getreideeinlagerung im Saal auch erst nach Interventionen seiner Frau Lore, die als Deutsch- und Musiklehrerin an der Schule arbeitete, bis hinauf zum Landwirtschaftsministerium abgestellt wurde und der traditionsreiche Saal, in dem neben den Filmveranstaltungen regelmäßig die Bälle der Vereine und Tanzvergnügen stattfanden (einstweilen) vor dem endgütigen Verfall gerettet werden konnte.
Die Reglings sollten für den Wiederaufbau des Saals 50.000 M, ansonsten nur 12.000 M von der Versicherung bekommen. Angesichts des schnell fortschreitenden Hirntumors des Gastwirts gab das Ehepaar auf und damit endete auch diese lange Familientradition des Gasthofes an der Berliner Straße in Groß Schönebeck nach einem dreiviertel Jahrhundert. Gasthof und die Ruinen des Saal wurden später abgetragen und hier nach der Wende ein modernes Wohn- und Geschäfthaus (mit Apotheke und Friseurladen) mit Blick auf das Schloss errichtet, nur die alte Kegelbahn hinter dem Haus wird weiterhin (mit moderner Automatik-Anlage) vom Groß Schönebecker Keglerverein betrieben.
Die Gaststätte war bereits in den 30er Jahren schon einmal vom Feuer heimgesucht worden. Die Feuerwehrchronik von Helmut Suter, die zum 100. Geburtstag der Freiwilligen Feuerwehr Groß Schönebeck 2003 veröffentlicht wurde, berichtet von einem Blitzschlag in den Dachstuhl, der sofort in Flammen aufgegangen war. Erst als Anwohner den Brand von außen bemerkten, gerieten auch die Gäste der Schankstube in Aufregung und verließen das Lokal, nicht ohne beim Rausgehen ein kühles Bier gegen den inneren Brandherd mitzunehmen.