Mord im Pfarrhaus

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

Viele Groß Schönebecker hatten ihr Heimatdorf auf der Flucht vor den Russen schon verlassen, andere, denen kein Fahrzeug zur Verfügung stand, versteckten sich im Wald und abgedeckten Entwässerungsgräben. In den Scheunen und leeren Häusern übernachteten Flüchtlinge und Soldaten. Sie hinterließen dort Uniformen und Ausrüstungsgegenstände, mit denen sie von den näher kommenden sowjetischen Truppen nicht angetroffen werden wollten, die aber den Eigentümern der Häuser teilweise zum Verhängnis wurden, weil man Sie später als Eigentümer der Uniformen und Parteiabzeichen verdächtigte.

                                                     

Über den Ort heulten am 28. April 1945 Granaten hinweg, die von den aus Richtung Eichhorst anrückenden Russen auf die wenigen Widerstandsnester der deutschen Truppen abgefeuert wurden. Die Brücken über den Oder-Havel-Kanal waren von den Deutschen Soldaten gesprengt worden, die Bahn konnte daher nicht mehr bis Groß Schönebeck fahren.

Rumänische SS, die unter dem Befehl eines deutschen Oberleutnants aus Carinhall stand und in Groß Schönebeck einquartiert war, plünderte im Schlosskeller die Weinbestände, verlangte nach Mädchen und Frauen und nötigte diese, die Nacht hindurch mit ihnen exzessiv zu feiern, bevor auch sie sich nach Westen absetzten. Der deutsche Offizier starb noch im Ort, wobei unklar ist, ob er seinen Bauschuss von einem sowjetischen Tiefflieger oder aus den eigenen Reihen erhielt, da er sich in einer flammenden Rede für den Kampf gegen die Russen in Groß Schönebeck bis zur letzten Patrone stark gemacht hatte, während Soldaten wie auch viele Einwohner schnellstmöglich den Ort in Richtung Westen verlassen wollten.

pfarrhaus
Pfarrhaus in Groß Schönebeck

Auch die Familie des Groß Schönebecker Pfarrers Superintendent Theodor Wagner sen. überlegte vielleicht, ob sie mit ihrem Wagen in Richtung Westen fliehen sollte. Wagner und sein jüngster Sohn Theodor, der Pfarrer in Zerpenschleuse war und mit seiner Familie bei den Eltern Zuflucht genommen hatte, wurden noch am 28. April vom Friseursalon Feld im Gebäude der heutigen Sparkasse aus vor dem Haus gesehen und vermittelten den Eindruck, dass sie sich den Flüchtenden anschließen wollten. Aus dem Dachgeschoß des Hauses Rosenbecker Str. 5 des ehemaligen KPD-Mannes Paul Grabowski und auch anderswo hingen schon weißen Fahnen aus dem Fenster.

In den letzten Stunden vor dem Abrücken der SS muss sich allerdings furchtbares im Pfarrhaus zugetragen haben: Schon vor dem Eintreffen der sowjetischen Verbände wurden dort sieben Leichen entdeckt: Die Akte der Pfarrstelle in Groß Schönebeck des Evangelischen Konsistoriums berichtet , dass dem Superintendent Wagner und seine Frau Gertrud nach einer Zwistigkeit mit der rumänischen SS die Schädel mit einem am Tatort zurückgelassenen Beil gespalten wurden. Sie sollen sich geweigert haben, die Kirche und das Pfarrhaus als befestigte Stellung gegen die anrückenden sowjetischen und polnischen Truppen ausbauen zu lassen. (Zu Recht, wie in der Akte betont wurde, hätten sie doch die Rache der Russen zu fürchten gehabt, wenn sie den Ort dann doch eingenommen hätten.) Bedenkt man die Zeit, in der die Aktennotiz gemacht wurde, könnte es auch sein, dass es opportun gewesen sein könnte, Russen als Täter auszuschließen. Theoretisch möglich wären beide Varianten, da sich die Tat in den Stunden des Machtwechsels abgespielt haben muss.

Aber es gab noch weitere Opfer: Wagners Sohn war durch einen Schuss in den Rücken getötet worden, nachdem ihm zuvor die rechte Hand abgeschlagen worden war, als er den Eltern zu Hilfe eilen wollte. Seine Ehefrau Adelheid und die drei Kinder Dieter, Rainer und Eberhard sind durch Messerstiche ums Leben gebracht worden. Um die Spur zu verwischen,– so die Überlieferung aus der Akte -, verbreiteten die Rumänen, die angesichts der sicheren deutschen Niederlage weder in ihrer Heimat noch in Deutschland eine Perspektive hatten, dass die Familie des Superintendenten aus Furcht vor den heranziehenden Russen Selbstmord verübt hätte. Dies war aber angesichts der Art, wie sie zu Tode gekommen ist, offenkundig unmöglich. Wenn die Russen aber die Täter gewesen wären, hätten die Rumänen – wie es die Akte berichtet – nicht das Gerücht verbreiten können, da sie ja schon aus Groß Schönebeck abgezogen waren, als die Leichname gefunden wurden.

Da der älteste Sohn des Superintendenten bereits im Krieg gefallen war, wurde mit diesen Morden die ganze Familie Wagner ausgelöscht. Daher musste, wie die Akte bekannt gibt, das fällige Sterbegeld aus der Kirchenkasse an den Vater der Schwiegertochter, der in Jüterbock eine Pfarrerstelle innehatte, ausgezahlt werden, weil dieser der einzige verbliebene Erbe war..

Die sowjetischen Verbände besetzten Groß Schönebeck am 29. April ohne ein Gefecht und suchten sich hier Quartiere und Versorgungsstützpunkte, nicht ohne dass die verbliebene Einwohnerschaft und vor allem die Frauen zuvor plündernd und vergewaltigend heimgesucht worden waren.

Der deutschsprachige russische Major, der den Sitz der Schorfheider Forstverwaltung in der Liebenwalder Straße zur sowjetischen Kommandantur gemacht hatte, befahl Erna Staberow die Leichen aus dem Pfarrhaus zu entfernen und schickte einen Panjewagen, um sie abtransportieren zu lassen. Mit Unterstützung von Paul Grabowski, den die Russen als bekannten Antifaschist einstweilen zum Dorfpolizisten gemacht ernannt hatten, wurden die Toten in Decken gewickelt und auf den Friedhof geschafft. Hier wurden sie unweit der heutigen hinteren Wasserstelle mit einem Vaterunser von Erna Staberow, bestattet.

An das Grab der Familie Wagner erinnerte lange Zeit ein von der Gemeinde gesetzter Gedenkstein auf dem Friedhof.


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