Geschichte

Wie das erste Radiohören das Wasser in der sowjetischen Kommandantur versiegen ließ

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

In den ersten Monaten nach Kriegsende gab es noch keine externe Stromversorgung, nachdem in den letzten Kriegstagen bei Mertens in der Berliner Straße eine Granate eingeschlagen hatte, war auch das Ortsnetz zerstört. Fritz Ast, Otto Bredow und der Ingenieur Erich Wegner („Strippenerich“) setzten das Netz für die wichtigsten Versorgungspunkte im Auftrag der sowjetischen Kommandantur wieder instand. Dieses wurde jedoch nicht von einem Kraftwerk über Fernleitung gespeist, sondern von der Dampfmaschine der Sägemühle in der Rosenbecker Straße. Angeschlossen wurde der Müller und Bäcker Wiegand, die Fleischer Suter und Seefeld, der Friseur Held, der Pferdeschlächter Otto Liese, die Sirene der Feuerwehr und die Kommandantur in der Forstverwaltung.

Nachdem die bisherige Feuerwehrtruppe wegen möglicher NS-Verstrickungen von der Besatzungsmacht komplett entlassen worden war, taten in der Wachstube bei der Fleischer Seefeld (Schaufensterspruch: „Rinder, Schörpse, Kälber, Schweine, laufen nur mit dem Gebeine. Darum muss beim Fleisch verwiegen, jeder etwas Knochen kriegen.“) in der Berliner Straße sehr junge Leute Dienst, u.a. Günter Stöcker, Gerhard Matiszick, Otto Werkmeister und Fritz Ast. Denen waren die durchwachten Nächte in der stromlosen dunklen Wachstube langweilig und so „organisierten“ sie sich aus der Kommandantur einen der dort zwangsweise eingesammelten „Göbbelsschreier“ (die schwarzen Bakkelit-Volksempfänger). Fritz Ast kletterte auf den Sirenenmast und holte sich von dort den Strom für den Betrieb. Nun konnten sie flotte Musik und Nachrichten hören und sich damit die Zeit vertreiben. Sicherheitshalber stellten sie eine Wache auf, damit sie niemand bei der verbotenen Strom- und Radionutzung ertappte. Das ging auch eine Weile gut, bis sie eines Tages von einem sowjetischen Wachposten doch überrascht und auf die Kommandantur geschafft wurden. Da Ast der Elektriker unter den Feuerwehrleuten war, und nur er den Anschluss hatte legen können, wurde er zu drei Tagen Haft im Keller der Forstverwaltung verurteilt, die sofort anzutreten waren.

Eine Weile brütete er im dunklen Keller vor sich hin, bis er sich mit seiner Umgebung näher vertraut machte. Dabei stieß er auch die Pumpe für die Frischwasserversorgung der Kommandantur. Das brachte ihn schnell auf eine Idee, die ihm wieder zur Freiheit verhelfen sollte: beherzt stellte er den Hahn für den Frischwasserzufluss ab und harrte der Dinge, die da kommen. Und es kam auch nach kurzer Zeit ein Posten mit MP und forderte den Elektriker auf, sofort nach dem Rechten zu sehen und die Stromversorgung für die Pumpe wiederherzustellen, denn man hätte kein Wasser mehr. Um die Russen, die mit fließendem Wasser ohnehin nicht vertraut waren, etwas zu verwirren, machte sich Ast erstmal aufwendig über die Stromleitung und den Verteilerkasten her, untersuchte die Pumpe und drehte dabei beiläufig wieder den Hahn auf. Die Russen waren glücklich, dass das Wasser wieder aus der Wand kam und schickten Ast mit einigen Broten beladen wieder nach Hause. Für einige Hundert andere Deutsche, die im Keller der Forstverwaltung und in der Sparkasse wegen NS-Verdachtes oder als ehemalige Wehrmachtsangehörige einsaßen, ging das damals nicht so glimpflich ab – aber das ist eine andere Geschichte.

1945: Flucht und Neubeginn

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

Mit der großen ARD-Dokumentation über Flucht und Vertreibung mit Maria Furtwängler wurden auch in Groß Schönebeck die Erinnerungen an das Jahr 1945 wach, als viele Groß Schönebecker - vor allem Frauen und Kinder – ihr Heimatdorf verließen und sich nach Westen aufmachten, um in die amerikanische Zone zu kommen – oder nur vorübergehend in die umliegenden Wälder flüchteten, um vorausgesagten und befürchteten Gräueltaten der sowjetischen Truppen zu entgehen. Es wird erzählt, dass sich sogar Männer aus Angst vor den Russen ertränkt haben.

Schon in den letzten Monaten und Wochen vor Kriegsende waren Flüchtlinge aus dem Osten durch das Dorf gezogen und hatten in den Scheunen übernachtet und um Essen gebeten. Die Erzählungen der Flüchtlinge und der zurückflutenden Soldaten, die näher rückende Front und der ferne Schlachtenlärm hatten ihre eigene Dramaturgie, die durch die Exzesse der im Ort stationierten rumänischen SS eher noch gesteigert wurde. Wer ein Auto oder Pferd und Wagen hatte, packte das wichtigste zusammen und machte sich auf nach Westen, oft auch nur mit einem Hundewagen. Viele flüchteten sich in die umgebenden Wälder und bauten sich dort Unterstände, z.T. in den Entwässerungsgräben, die nach oben abgedeckt wurden mit Bruchholz und Moos.

Mit der aussichtsloser werdenden Kriegslage stieg die Frequenz der Verordnungen, die über die Gemeinden, so auch über Groß Schönebeck hernieder regneten. So wurde ein Erlass ausgehängt, in dem es heißt:

“An verschiedenen Orten sind von den Polizeibehörden Vorschriften erlassen worden, die das Tragen von langen Hosen durch Frauen verbieten und unter Strafe stellen. Der Reichsführer SS und der Chef der deutschen Polizei hat persönlich befohlen, dass bei Zuwiderhandlungen solcher Vorschriften zurzeit jegliches Einschreiten zu unterbleiben hat.“ – Angesichts des strengen Winters war das Verbot ohnehin nicht durchsetzbar. Am 19.Februar 1945 wurden die Bürgermeister darauf hingewiesen, wie sie sich bei Feindannäherung zu verhalten haben:
“Verwaltungsbehörden, insbesondere Landräte, Bürgermeister und Regierungspräsidenten setzen ihre Tätigkeit bis zum letzten Augenblick fort und schließen sich dann der kämpfenden Truppe an. Männer, die besonders tapfere Haltung gezeigt haben, sind zu melden. Gegen Versager ist sofort scharf einzuschreiten. Sie sind des Amtes zu entheben und durch geeignete Männer zu ersetzen.“

Der sechsjährige Herbert Hunziger zog mit Mutter, Omas und Tanten mit einem Hundewagen los nach Nordwesten, zunächst mit den am 26. April 1945 von Groß Schönebeck abziehenden deutschen Soldaten, später, als den deutschen Truppen die Mitnahme von Zivilisten untersagt wurde, allein und zu Fuß. Unterwegs in Wittstock trafen sie die rumänische SS aus Groß Schönebeck, die auch nach Westen unterwegs war. Hunzigers kamen bis nach Putlitz, wo die Stadt brannte, die Schnapsfabrik bereits von enthemmten russischen Soldaten geplündert worden war und die Frauen vergewaltigt wurden Die sowjetischen Kommandanten versuchten die Ordnung mit drakonischen Maßnahmen wiederherzustellen und ließen drei russische Soldaten auf dem Marktplatz aufhängen, ein Bild, dass Hunziger noch heute vor Augen steht.

Edeltraut Tönnies, deren Familie seit 1890 das Dampfsägewerk Carl Wöpel und Sohn am Berliner Ortsausgang von Groß Schönebeck betrieben, machte sich mit ihrem auf zwei Fuhrwerke verteiltem Hausstand und zahlreichen weiteren Flüchtlingen auf und kam bis zur Elbe, wo sie auf einem Bauernhof Unterschlupf fand. Am 18. Juli 1945 kam sie wieder zurück nach Groß Schönebeck. Dort wurden ihr sogleich die Gespanne abgenommen, weil diese dringend zum Ernteeinsatz benötigt wurden.

Hildegard Aschermann und ihre Schwester Gertrud Feld waren nach Schluft geflohen. Zuvor hatten sie ihr Vieh geschlachtet und mit dem Geschirr vergraben, um es vor dem Zugriff der Russen zu schützen. So wie sie hatten viele Familien ihren Besitz vergraben, allerdings waren die sowjetischen Soldaten sehr erfahren darin, solche Verstecke aufzuspüren und haben fast alles gefunden.

Für Mutter, Tochter und Enkelin der Familie Mädel war es zu spät zur Flucht. Sie wurden erschossen in ihrem Haus südlich der Ortsgrenze in der Nähe des Lagers der rumänischen SS aufgefunden. Ob es eine Verzweiflungstat war, um den Besatzern nicht in die Hände zufallen oder eine Tat der marodierenden russischen Soldaten, ist nicht geklärt.

Andere, wie Inge Gäbler, flüchteten sich zunächst zu den ukrainischen Zwangsarbeitern, zu denen sie guten Kontakt hatten und die mit ihren Familien (Großeltern, Eltern und Kinder) selbst dem Einmarsch der sowjetischen Verbände mit gemischten Gefühlen entgegen sahen, nicht zu Unrecht, denn bereits am Tag nach dem Einmarsch der Russen wurden sie abtransportiert und in ihrer Heimat wie Verräter behandelt.

Der Voraustrupp der Russen kam mit seinen Panzerspitzen am 29.April um 16 Uhr an den unbesetzten Panzersperren und Gräber vorbei oder drüber hinweg aus Richtung Eichhorst und über die Joachimsthaler Straße in den Ort und schlug sein Hauptquartier zunächst in der Forstverwaltung in der Liebenwalder Straße auf, später zog der Kommandant ins Schloss.

Fritz Ast hatte sich mit seiner Familie in den Wald am Schinderberggestell geflüchtet. Als er noch zwei Kannen Wasser von zu Hause holen wollte, wurden er und sein Freund von der SS beschossen. Als er es am 30. April noch einmal versuchte, wurde er von den Russen geschnappt und musste in dem Gehöft an der heutigen Thälmannstr. 34, wo russische Soldaten zuvor gehaust hatten, ausräumen und das Geschirr abwaschen, das dort die Badewanne füllte. Als er dann müde in sein Elternhaus kam, fand er die Betten verdreckt und verlaust vor. Die Russen hatten auch hier das Versteck der Familie gefunden. Der Vater, der im Schützenverein gewesen war, hatte in der Kammer in der Scheune seine Schusswaffen und andere Wertsachenvergraben.

Die erbeuteten Güter stellten die Russen zwischen Böhmerheide und Groß Schönebeck im Wald auf. Dort wurden die Zimmer im Freien mit den Möbeln nachgebaut und bewohnt. Die „Zimmer“ waren umgrenzt und die Pferde der Offiziere wurden davor angebunden. Später wurden die Güter nach Russland abtransportiert – soweit sie nicht schon durch die Witterung zerstört waren.

todesmarsch

Gerda Mahrt, die langjährige Leiterin der Sparkasse, und ihre Schwester Ilse Röhr machten sich mit ihrer Mutter und einem Handwagen auf nach Westen in Richtung Rheinsberg. Unterwegs überholten sie die KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen auf Ihrem Todesmarsch in Richtung Wittstock. In Rheinsberg wurden sie von den Russen eingeholt und von Tieffliegern beschossen. Dabei wurde eine Tochter und Schwester von „Schichten“ - Grassow von der Bäuerliche Handelsgesellschaft Groß Schönebeck erschossen und die Schwestern getrennt. Während Ilse Röhr und die Sparkassenkollegin von Gerda nur bis Boitzenburg an der Elbe kamen und dort das Kriegsende abwarteten, weil sie nicht mehr über die Elbe übersetzen konnten, gelangte Gerda Math mit ihrer Mutter bis nach Lübeck, wo sie viele andere Groß Schönebecker traf.

In Lübeck hatte ihr Bruder zuvor auf dem Flugplatz gedient, bevor dieser nach Vechta verlegt worden war und bei einer Familie Schwarz gewohnt. In Vechta lebte auch seine Frau. Deshalb macht sich Gerda Mahrt dorthin auf den Weg. Der Bruder war in Schleswig-Holstein in Gefangenschaft geraten und im Gefangenentransport durch Lübeck gekommen. Bei der Fahrt durch den Lübecker Hauptbahnhof hatte er einen Zettel aus dem Zuge geworfen, um seinen ehemaligen Vermieter in Lübeck darüber zu informieren, dass er nach Vechta gebracht werde, damit dieser auch seiner Frau Nachricht geben konnte. Diesen Zettel übergab eine Schwester von der Bahnhofsmission die Gerda Math, als diese am Bahnhof nach der Familie Schwarz fragte. Nach einem Besuch bei der Familie machte sich die Mutter von Lübeck aus nach Vechta auf, um dort bei ihrer Schwiegertochter auf die Freilassung ihres Sohnes zu warten. Der arbeitete nach seiner Entlassung zunächst in Vechta als Schneider und nähte aus Lazerettdecken Kleidung.

Gerda Mahrt ging in der Hoffnung zu ihren Schwiegereltern, die in Schleswig-Holstein wohnten, von Ihrem Mann Nachricht zu erhalten. Dessen letzten Brief hatte sie im März 1945 aus Kroatien erhalten. Später zeigte sich, dass sie nie wieder von ihm hören sollte. Bei den Schwiegereltern verbrachte sie den Winter und reiste im Frühling über mehrere Stationen wieder zurück nach Groß Schönebeck, wo sie am 1. Mai 1946 wieder eintraf. Zunächst musste sie in ein Quarantänelager, dass im ehemaligen Reichsarbeitsdienstlager am Sportplatz in Groß Schönebeck eingerichtet worden war. Dort wurde sie von ihrer Schwester Ilse durch den geschlossenen Zaun versorgt. Ihre Mutter war bereits im Oktober 1945 heimgekehrt, indem sie mit einem Mehltransporter über die Grüne Grenze geschleust wurde und sich dann nach Groß Schönebeck durchgeschlagen hat.

In Ihrem Haus fanden sie noch ihre Ziege im Stall vor, auf dem Dachboden war noch die Zentrifuge zum Butter machen und etwas Korn, das sie schwarz (denn es musste alles Getreide abgeliefert werden) bei Hermann Wiegand in der Mühle mahlen konnten. Pflicht schuldigst ging Gerda Mahrt auch wieder in die Sparkasse, deren Schlüssel sie auf der Flucht mitgenommen hatte. Der Tresor war unversehrt, nur ihr Schreibtisch war aufgebrochen worden. Sie begab sich zur Bezirksverwaltung der Sparkasse nach Bernau und legte den Tresorschlüssel vor. Dort sagte man ihr, sie solle sich wieder in die Filiale begeben und dort nach dem Rechten schauen. Ihr Lehrling, der in Groß Schönebeck geblieben war, hatte dort bereits aufgeräumt und die Spuren der dort unter primitivsten Bedingungen (es gab keine Toiletten) inhaftiert gewesenen Gefangenen der Russen, die unter NS-Verdacht gestanden hatten, entfernt und sich dabei mit Typhus infiziert. Trotz des vorhandenen Schlüssels musste der Tresor von Herrn Gellert aufgeschweißt werden, da die Russen den Schreibtischschlüssel im Schloss abgebrochen hatten, da sie ihn für den Tresorschlüssel hielten. Geld, Papiere und Stempel waren vorhanden und so konnte Gerda Mahrt den Sparkassenbetrieb wieder aufnehmen, zunächst jeweils einen Tag in Zerpenschleuse und einen in Groß Schönebeck.

Christa Staberow erzählt, dass sie von deutschen Soldaten aufgefordert worden waren, mit ihnen zu fliehen. Da sie zusammen bleiben wollten, nachdem sie ihr Vieh geschlachtet und die Wertsachen vergraben hatten, flüchteten sie sich mit der Mutter und dem Onkel aus Schluft in den nahe gelegenen Wald und stellten dort Fahrräder und Koffer ab. Im Entwässerungsgraben gab es einen provisorischen Bunker gebaut, in dem sie mit anderen Einwohner von Schluft einige Tage hausten. Christa Staberow wollte aber wieder zurück ins Dorf und sagte: „Mutter, die Russen sind ja auch Menschen.“ Und ging zurück ins Dorf, wo die Uhren weg, der Plattenspieler an und das Haus voller Russen war. Christa Staberow und ihre Mutter zogen in die Böttcherwerkstatt ihres Hauses und verständigten sich mit dem deutschsprachigen russischen Major. Der forderte von ihr: „Sorgen Sie dafür, dass die Kinder von der Straße kommen und etwas lernen!“ Damit begann der Schulunterricht in Groß Schönebeck am 12. Juni 1945 wieder in der alten Schule an der Kirche, zeitweise nutzte man auch Teile des ehemaligen Reichsarbeitsdienstlagers bis 1948 das heutige Schulgebäude der Schorfheide-Stiftung mit später anschließendem Neubau übernommen werden konnte. Christa Staberow zur Seite standen Erika Kolakowski, die auf der Flucht nach Groß Schönebeck gekommen war, die ehemalige Schulsekretärin Frau Bornemann und Ingrid Specht. Erster Schulleiter war Herr Wolfram, der kein Nazi war und zuvor sein Amt verloren hatte, aber in Groß Schönebeck geblieben war und nun zur Verfügung stand. Ende 1945 kam Erich Triloff, der 1933 von den Nazis vertriebene Reformpädagoge als Schulleiter dazu - aber das ist eine andere Geschichte.


alteschule gemeindehausAlte Schule im Gemeindehaus neben der Kirche

Aus Groß Schönebeck waren nicht nur sehr viele geflohen – manche zeitweise, andere für immer, wie der damalige NS-Ortsgruppenführer und Schulleiter Mühlbach. Es sind aber auch nach Kriegsende viele Flüchtlinge aus Ostpreußen und 12 Familien aus den Sudeten aufgenommen worden und z.T. für immer hier geblieben, wie z.B. Helene Liepner, die 1948 u.a. mit vier weiteren Familien aus Königsberg und Stettin kam und in den Gasthof „Zur Sonne“ (heute: „Präsident“) einheiratete.

Am 6. Mai 1945 hielt der sowjetische Kommandant, nachdem alle Überlebenden vom Gemeindediener zusammengetrommelt worden waren, eine Rede, in dem er die Menschen aufforderte, Ruhe und Ordnung zu bewahren und Fotoapparate, Radios, Gold und Waffen in der Kommandantur abzugeben. Aus Furcht, als NS - nahe oder als Funktionsträger verdächtigt zu werden, gaben aber nur wenige ihre Jagdwaffen oder von abziehenden Soldaten zurückgelassenen Gewehre und Pistolen ab, sondern warfen sie in den Wald, einen See oder vergruben sie. Außerdem verkündete der russische Major die Einführung einer Sperrstunde. Übergriffe seiner Soldaten sollten in der Kommandantur gemeldet werden. Sein außergewöhnlich gut deutsch sprechender Adjutant fuhr mit seinem Motorrad mit Beiwagen Streife durchs Dorf und half, wenn es Zwischenfälle gab. Als die Kosaken in einem Haus die Tür einschlugen, um zu den verängstigten Frauen zu kommen, sprang Inge Gäbler aus dem Fenster und rannte in Richtung Kommandantur. Unterwegs begegnete sie dem Adjutanten des Majors, der mit ihr zum Haus zurückfuhr und sich mit aller Schärfe der Kosaken annahm. Otto Gildemeister, der mit der weißen Fahne den Ort übergeben haben soll (andere sagen, es sei Willi Schulz gewesen), wurde als erster Bürgermeister einsetzt, amtierte aber nur bis zum Juli, da seine Parteimitgliedschaft bei der NSDAP bekannt wurde.

Wichtigste Aufgabe der Kommandantur war es aber, die Ernährung sowohl der eigenen Truppen wie auch der Bevölkerung sicherzustellen. Die Felder mussten bestellt und später abgeerntet werden. Zunächst wurden alle Kornvorräte eingesammelt und rationiert, die Mühlen in Gang gesetzt und Lebensmittel verteilt. Gemeinsam arbeiteten Deutsche und Russen auf den Feldern. Man kam sich dabei näher und es kam ein lebhafter Tauschhandel in Gang, der bis zum Abzug der russischen Truppen 1994 anhalten sollte. Begehrt waren Schnaps, Radios, Uhren, Mokkalöffel und Gold. Verkauft wurde von den Russen Benzin aus Kanistern oder sogar aus Tankwagen. In den letzten Jahren fanden auch viele Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Fahrzeuge vom Flughafen Groß Dölln aus, wo die Russen den Lufttransport ihrer Westgruppe in die Heimat organisierten und von wo aus auch manches Westauto eine nicht vorbestimmte Flugreise antrat, ihren Weg in zum Teil dunkle Kanäle.

Mord im Pfarrhaus

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

Viele Groß Schönebecker hatten ihr Heimatdorf auf der Flucht vor den Russen schon verlassen, andere, denen kein Fahrzeug zur Verfügung stand, versteckten sich im Wald und abgedeckten Entwässerungsgräben. In den Scheunen und leeren Häusern übernachteten Flüchtlinge und Soldaten. Sie hinterließen dort Uniformen und Ausrüstungsgegenstände, mit denen sie von den näher kommenden sowjetischen Truppen nicht angetroffen werden wollten, die aber den Eigentümern der Häuser teilweise zum Verhängnis wurden, weil man Sie später als Eigentümer der Uniformen und Parteiabzeichen verdächtigte.

                                                     

Über den Ort heulten am 28. April 1945 Granaten hinweg, die von den aus Richtung Eichhorst anrückenden Russen auf die wenigen Widerstandsnester der deutschen Truppen abgefeuert wurden. Die Brücken über den Oder-Havel-Kanal waren von den Deutschen Soldaten gesprengt worden, die Bahn konnte daher nicht mehr bis Groß Schönebeck fahren.

Rumänische SS, die unter dem Befehl eines deutschen Oberleutnants aus Carinhall stand und in Groß Schönebeck einquartiert war, plünderte im Schlosskeller die Weinbestände, verlangte nach Mädchen und Frauen und nötigte diese, die Nacht hindurch mit ihnen exzessiv zu feiern, bevor auch sie sich nach Westen absetzten. Der deutsche Offizier starb noch im Ort, wobei unklar ist, ob er seinen Bauschuss von einem sowjetischen Tiefflieger oder aus den eigenen Reihen erhielt, da er sich in einer flammenden Rede für den Kampf gegen die Russen in Groß Schönebeck bis zur letzten Patrone stark gemacht hatte, während Soldaten wie auch viele Einwohner schnellstmöglich den Ort in Richtung Westen verlassen wollten.

pfarrhaus
Pfarrhaus in Groß Schönebeck

Auch die Familie des Groß Schönebecker Pfarrers Superintendent Theodor Wagner sen. überlegte vielleicht, ob sie mit ihrem Wagen in Richtung Westen fliehen sollte. Wagner und sein jüngster Sohn Theodor, der Pfarrer in Zerpenschleuse war und mit seiner Familie bei den Eltern Zuflucht genommen hatte, wurden noch am 28. April vom Friseursalon Feld im Gebäude der heutigen Sparkasse aus vor dem Haus gesehen und vermittelten den Eindruck, dass sie sich den Flüchtenden anschließen wollten. Aus dem Dachgeschoß des Hauses Rosenbecker Str. 5 des ehemaligen KPD-Mannes Paul Grabowski und auch anderswo hingen schon weißen Fahnen aus dem Fenster.

In den letzten Stunden vor dem Abrücken der SS muss sich allerdings furchtbares im Pfarrhaus zugetragen haben: Schon vor dem Eintreffen der sowjetischen Verbände wurden dort sieben Leichen entdeckt: Die Akte der Pfarrstelle in Groß Schönebeck des Evangelischen Konsistoriums berichtet , dass dem Superintendent Wagner und seine Frau Gertrud nach einer Zwistigkeit mit der rumänischen SS die Schädel mit einem am Tatort zurückgelassenen Beil gespalten wurden. Sie sollen sich geweigert haben, die Kirche und das Pfarrhaus als befestigte Stellung gegen die anrückenden sowjetischen und polnischen Truppen ausbauen zu lassen. (Zu Recht, wie in der Akte betont wurde, hätten sie doch die Rache der Russen zu fürchten gehabt, wenn sie den Ort dann doch eingenommen hätten.) Bedenkt man die Zeit, in der die Aktennotiz gemacht wurde, könnte es auch sein, dass es opportun gewesen sein könnte, Russen als Täter auszuschließen. Theoretisch möglich wären beide Varianten, da sich die Tat in den Stunden des Machtwechsels abgespielt haben muss.

Aber es gab noch weitere Opfer: Wagners Sohn war durch einen Schuss in den Rücken getötet worden, nachdem ihm zuvor die rechte Hand abgeschlagen worden war, als er den Eltern zu Hilfe eilen wollte. Seine Ehefrau Adelheid und die drei Kinder Dieter, Rainer und Eberhard sind durch Messerstiche ums Leben gebracht worden. Um die Spur zu verwischen,– so die Überlieferung aus der Akte -, verbreiteten die Rumänen, die angesichts der sicheren deutschen Niederlage weder in ihrer Heimat noch in Deutschland eine Perspektive hatten, dass die Familie des Superintendenten aus Furcht vor den heranziehenden Russen Selbstmord verübt hätte. Dies war aber angesichts der Art, wie sie zu Tode gekommen ist, offenkundig unmöglich. Wenn die Russen aber die Täter gewesen wären, hätten die Rumänen – wie es die Akte berichtet – nicht das Gerücht verbreiten können, da sie ja schon aus Groß Schönebeck abgezogen waren, als die Leichname gefunden wurden.

Da der älteste Sohn des Superintendenten bereits im Krieg gefallen war, wurde mit diesen Morden die ganze Familie Wagner ausgelöscht. Daher musste, wie die Akte bekannt gibt, das fällige Sterbegeld aus der Kirchenkasse an den Vater der Schwiegertochter, der in Jüterbock eine Pfarrerstelle innehatte, ausgezahlt werden, weil dieser der einzige verbliebene Erbe war..

Die sowjetischen Verbände besetzten Groß Schönebeck am 29. April ohne ein Gefecht und suchten sich hier Quartiere und Versorgungsstützpunkte, nicht ohne dass die verbliebene Einwohnerschaft und vor allem die Frauen zuvor plündernd und vergewaltigend heimgesucht worden waren.

Der deutschsprachige russische Major, der den Sitz der Schorfheider Forstverwaltung in der Liebenwalder Straße zur sowjetischen Kommandantur gemacht hatte, befahl Erna Staberow die Leichen aus dem Pfarrhaus zu entfernen und schickte einen Panjewagen, um sie abtransportieren zu lassen. Mit Unterstützung von Paul Grabowski, den die Russen als bekannten Antifaschist einstweilen zum Dorfpolizisten gemacht ernannt hatten, wurden die Toten in Decken gewickelt und auf den Friedhof geschafft. Hier wurden sie unweit der heutigen hinteren Wasserstelle mit einem Vaterunser von Erna Staberow, bestattet.

An das Grab der Familie Wagner erinnerte lange Zeit ein von der Gemeinde gesetzter Gedenkstein auf dem Friedhof.

Wilhelm Krug: Wunschkonzert aus Böhmerheide

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

Wenn Max Rabe und sein Palastorchester z.B. den Foxtrott „In meiner Badewanne bin ich Kapitän…“ (Text von Krug und Bernauer, Musik von Berco) anspielen, dann freuen sich Erika Bastkowski aus Böhmerheide, dem ehemaligen Ortsteil von Groß Schönebeck und ihre Brüder, etwas von ihrem Vater zu hören. Die Tochter eines der erfolgreichsten Drehbuchautoren, Librettisten und Textdichters der Vorkriegszeit, Wilhelm Krug, hütet das Erbe des Berliners, der 1940 seine Heimat in Böhmerheide gefunden hatte. Dorthin übersiedelte er mit Frau und fünf Kindern. In seinem Holzhaus auf dem 1937 erworbenen Grundstück im Amselweg mit weit überkragendem Reetdach (das 1968 abbrannte) trafen sich Schauspieler, Komponisten und Rundfunkkollegen in den Kriegsjahren.

                    

Wilhelm Krug arbeitete seit Ende der 20er Jahre mit Ralph Maria Siegel („Capri Fischer“, „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“, „O mia bella Napoli“), dem Vater des heutigen Popproduzenten an der Operette „Glück am Ziel“. Mit dem Operettenkönig Eduard Künnecke („Der Vetter aus Dingsda“) schrieb er die Texte zu den Songs für den Tonfilm „Ein Lied klagt an“, u.a. die Serenade „Mein Herz singt heut’ von Liebe und Glück ein Lied“ oder den Pasadoble „Nimm bloß die Liebe nicht so wichtig“. Für den Film „Der lachende Dritte“ textete er zu Künneckes Melodien „Wenn am Samstag die Glocken erklingen“ oder den „Oberbayrischen Bauernmarsch“. Sein beeindruckendes Bühnenstück „Menschen am Schienenstrang“, das mit großem Erfolg u.a. im Theater der Josefstadt in Wien, im Dortmunder Stadttheater und im Berliner Schillertheater aufgeführt wurde, feierte die Kritik als „sichtbar und hörbar im Zeichen Gerhardt Hauptmann stehend“. Freundschaft verband Wilhelm Krug u.a. mit dem Schauspieler Franz Weber („Berlin Alexanderplatz“, „Tanz auf dem Vulkan“, „Rembrandt“, „Lache Bajazzo“), der ebenfalls in Böhmerheide ein Ferienhaus hatte und Luigi Bernauer („Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche“, „Wenn die Sonne schlafen geht“), einem der beliebtesten Rundfunk- und Schallplattensänger der dreißiger Jahre, der mit seinen typischen Wiener Liedern große Erfolge feiern konnte.

Unter den Gästen im Amselweg war auch Hans Albers, der mit den Dialogen des Drehbuchs für den 1938 fertig gestellten Spielfilm „Sergeant Berry“ unzufrieden war und sich die Dialoge von Wilhelm Krug auf den Leib schreiben ließ.

Zusammen mit Heinz Goedecke als Moderator konzipierte und schrieb Wilhelm Krug im September 1939 „die erfolgreichste Rundfunksendung des letzten Jahrhunderts“ (Deutsches Rundfunkmuseum, die dieser Sendung eine große Sonderausstellung widmete), die fortan sowohl hinsichtlich der Hörerbeteiligung wie auch des Spendensammelns für gewünschte Musikbeiträge in allen Rundfunkanstalten kopiert wurde und wird. Heinz Goedecke und Wilhelm Krug brachten es zu einer solchen Popularität, dass ihr Konterfei auf einem Briefumschlag als Adresse ausreichte. Eine Popularität, von der ein Heinz Quermann und ein Hans Rosenthal später nur träumen konnten.

Das „Wunschkonzert“ des Großdeutschen Rundfunks war oft die einzige Verbindung zwischen den deutschen Soldaten an der Front und den Angehörigen in der Heimat. Bis auf Hans Albers, der sich hierfür verweigerte, ließ es sich kein Star nehmen, bei der Livesendung im Großen Sendesaal des Rundfunks an der Masurenallee aufzutreten. Die Sendung ging ans Herz: Eine Mutter rief das Haus des Rundfunks an. Sie sagte: „Ich habe hier das Notizbuch meines lieben Jungen. Auf der letzten Seite stehen die Worte eines Liedes, das er immer so gerne gesungen hat. Das Lied heißt: „Gute Nacht, Mutter“. Jetzt ist mein Junge gefallen. Er schläft in Polen – und diese Zeilen sind wohl sein letzter Gruß an mich...“ Eine halbe Stunde später, die Mutter saß wieder an ihrem Rundfunkapparat – da erzählte Heinz Goedecke die von Wilhelm Krug blitzschnell bearbeitete Geschichte mit dem Notizbuch. Alles war still – im Sendesaal und überall in der Welt, wo die Erzählung aus den Lautsprechern kam. – Und jetzt wusste die Mutter: Walter ist nicht allein für sie, sondern für alle gefallen! „Gute Nacht, Mutter...“ sang der Lautsprecher.“

Die Popularität der dreistündigen Sendung, die jeweils im Winterhalbjahr zweimal wöchentlich über alle deutschen Sender ausgestrahlt wurde, war enorm.

wunschkonzert
Buchtitel zum „Wunschkonzert“

1940 erschien das Buch „Wir beginnen das Wunschkonzert für die Wehrmacht“ des Sprecher – oder wie es heute heißt „Moderatoren“ Heinz Goedecke und des Autors Wilhelm Krug. Ende 1940 wurde der Ufa-Film „Wunschkonzert“ mit Ilse Werner und Karl Raddatz uraufgeführt. Mit 23 Millionen Zuschauern bis 1945 nahm er die 2. Stelle unter allen NS-Unterhaltungsfilmen und einen zentralen Platz in der Propagandamaschine des 3. Reiches ein. Mit der Dreifachvermarktung von Sendung, Buch und Film „Wunschkonzert“ wurde in dieser Zeit Marketinggeschichte geschrieben.

Am 25. Mai 1941 endete mit der 75. Sendung die Wintersaison. Fast 15,5 Millionen Reichsmark waren im Rahmen der Sendung gespendet worden. Doch die Fortsetzung ab dem 7. September fand nicht statt. Ohne weitere Angaben wurde die Sendung abgesetzt. Offenbar waren Sendung und Autor zu populär geworden und die Gefahr, dass auch das Leid und die Trauer der Familien angesichts der steigenden Verluste durch die Sendung transportiert wurden, passte nicht mehr in das Propagandakonzept von Josef Goebbels – der selbst gern auch in Carinhall bei Groß Schönebeck zu Gast war.

Wilhelm Krug starb 1945 im Alter von nur 42 Jahren an TBC, eine damals weit verbreitete Krankheit, die auch seine Tochter Erika lange Jahre durchleiden musste und ihre Schwester mit 19 Jahren dahinraffte. Obwohl Wilhelm Krug nie Mitglied der NSDAP oder einer anderen Naziorganisation war und immer nur die Menschen mit seiner Textkunst erfreuen wollte, wurde seiner Familie nach dem Krieg der Erfolg der „Wunschkonzerte“ zum Fluch:

Seine Frau erhielt keine Witwenrente und die Lebensversicherung im Westen durfte ihr nicht ausgezahlt werden. Sie arbeitete bis in die fünfziger Jahre als allein erziehende Mutter von 5 Kindern auf dem Bau, u.a. auf dem Flughafen in Groß Dölln, wohin sie oft zu Fuß den weiten Weg durch den Wald laufen musste. Tochter Erika durfte keine weiterführende Ausbildung erhalten, obwohl schon bei Hilde Körber als Schauspielschülerin aufgenommen, durfte sie nicht nach West-Berlin. Später wurde sie als Leiterin der Konsumfiliale in Böhmerheide, wo sie nicht nur die Waren heranschaffte und verkaufte, sondern auch einen Imbiss für die Urlauber bereit hielt, eine allseits beliebte Institution. Ihre vom Vater ererbten Talente setzte sie mit ihren „Konsum-enten“ um und nahm den DDR – Alltag auf ungezählten Betriebsfesten und sonstigen Veranstaltungen zwischen Dresden und Prenzlau kabarettistisch auf die Schippe. Zur Erinnerung an ihren Vater Wilhelm Krug hat Erika Bastkowski einen Gedichtband zur 707 - Jahrfeier von Groß Schönebeck unter dem Titel „Zeitgenössische Geschichten – verwandelt in Gedichte“ veröffentlicht.


Lob, Kritik, Ideen? Schreiben Sie uns: buergerverein@grossschoenebeck.de