Gedenken Kriegsende in Groß Schönebeck vor 74 Jahren

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Aktuelles

Ortsbeirat, Bürgerverein und Kirchengemende gedachten des 74. Jahrestages des Kriegsendes sowie der Ermordung der Pfarrersfamilie Wagner aus Zerpenschleuse und Groß Schönebeck:

In einem Dreisprung des Erinnerns am Ehrengrab, des Gedenkens am Gedenkstein vor dem Pfarrhaus und des Nachdenkens in der Kirche mit anschließendem gemeinsamen Gespräch im Gemeindehaus setzten sich die Mitglieder der Kirchengemeinde, des Ortsbeirates udn des Bürgervereins mit dem Jahrestag sowie dem Blick auf Krieg und Vertreibung heute auseinander.

Konfirmanden vor dem Gedenkstein am Pfarrhaus

Konfirmanden aus Groß Schönebeck und Zerpenschleuse riefen die Namen der ermordeten Familie Wagner auf, stellten Fragen zu deren Schicksal und sprachen das UN-Gebet. Pfarrerin Sabine Müller führte durch die Veranstaltung und Rainer E. Klemke sprach über die Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg und das Engagement Deutschlands dabei:

 

In unserem Dorf Groß Schönebeck gibt es zwei Gruppen von Menschen, die selbst am eigenen Leib erfahren haben, was Krieg und Vertreibung, Hunger und Not bedeutet: Das sind zum einen die deutlich über 75jährigen Frauen und Männer, unsere Eltern und Großeltern, sowie die seit 2015 in unser Dorf gekommenen Geflüchteten, die wegen der Bürgerkriege und Unterdrückung in ihren Heimatländern Tschetschenien, Syrien und Pakistan ihre Heimat verlassen und alles aufgeben mussten, was sich ihre Vorfahren und sie selbst erarbeitet hatten.

Wir Anderen, Jüngeren wissen davon nur aus den seltenen Erzählungen unserer Großeltern, aus Büchern, Filmen oder Korrespondentenberichten aus aller Welt, die in den Nachrichten oftmals nur an uns vorbeirauschen. Dabei haben allein in den letzten beiden Jahrzehnten mehrere Dutzend Berichterstatter ihr Leben dafür gelassen, uns davon zu informieren, wie und warum immer wieder Menschen durch konventionelle Kriege und Terrorakte, der sogenannten modernen kriegerischen Auseinandersetzungen, getötet und Städte und Länder zerstört und deren Bewohner in die Steinzeit zurück gebombt werden.

Deutsche Waffenexporte hatten in den Jahren von 2000 bis 2017 ein Volumen von 31,781 Mrd. €. Nach den USA, Russland und Frankreich ist Deutschland einer der größten Waffenlieferanten obwohl wir bei den eigenen Militärausgaben – gemessen am Bruttosozialprodukt - selbst nur 1,2 % aufwenden und damit auf Platz 15 in der Weltrangliste stehen.

Was aber vielen von uns nicht präsent ist, ist die Tatsache, dass wir Deutsche auch personell und finanziell an immer mehr kriegerischen Einsätzen – oder auch nach anderer Sichtweise „Friedensmissionen“ beteiligt sind:

13 Auslandseinsätze bestreitet die Bundeswehr derzeit. 37 weitere lagen in den Jahren davor seit 1991. Von Afghanistan bis Westsahara sind dafür derzeit fast 3.500 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Nach Angaben der Bundeswehr sind seit 1992 in Auslandseinsätzen 108 Soldatinnen und Soldaten ums Leben gekommen. Das sind in etwa soviele Menschen, wie wir derzeit in unserem Kindergarten haben. Nicht eingerechnet sind dabei die vielen Soldatinnen und Soldaten, die mit schweren körperlichen und vor allem psychischen Schäden in die Heimat zurückgekommen sind. Davon erfährt man selten etwas, außer z.B. in einem Tatort-Krimi oder, wenn man wie ich jemanden in der Familie hat, der jahrelang mit den Folgen eines Afghanistaneinsatzes zu kämpfen hat.

Bis Ende 2015 sind seit 1992 für Auslandseinsätze etwa 19 Milliarden Euro an einsatzbedingten Zusatzausgaben angefallen. Das ist fast soviel wie eine Jahresetat des Landes Brandenburg.

Deutschland ist also selbst aktiv indirekt und direkt beteiligt an den nicht weniger werdenden Kriegen in aller Welt, in denen seit dem Ende des 2. Weltkrieges mehr als 25 Millionen Menschen getötet wurden und derzeit sind über 65 Millionen Menschen auf der Flucht - etwa so viele wie die alte Bundesrepublik an Einwohnern hatte – im eigenen Land oder weit entfernt davon notdürftig in Lagern gehalten, zumeist ohne Perspektive, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

John F. Kennedy sagte einmal, „die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende“ und der römische Politiker Cicero meinte, „der ungerechteste Frieden ist immer noch besser als der gerechteste Krieg“.

Trotzdem erleben wir immer neue Kriege gegen Nachbarstaaten, gegen nationale Minderheiten, Kriege um Rohstoffe und nationale Einflusssphären. Größte Konflikte im Kampf um das Trinkwasser, das wir gegenwärtig für Fleisch-, Obst- und Gemüseproduktion in subtropischen Ländern verschwenden, stehen uns noch bevor!

Die Menschheit lernt nicht aus der Weisheit, die Bertold Brecht mit Verweis auf Karthago zitierte: „Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr zu finden.“

Letztlich hat sich kein Krieg ausgezahlt, sondern immer nur Tod und Verfolgung und neue Konflikte hervorgerufen. Ein Beispiel ist die amerikanische Intervention im Irak, der die gesamte Region in ein schier unüberwindliches Chaos stürzte. Wie richtig die Entscheidung von Gerhard Schroeder war, sich an diesem Krieg nicht zu beteiligen, hat die Geschichte bewiesen, gebar dieser Krieg doch immer neue Konflikte und Bürgerkriege, die bis heute andauern.

Die Geschichte hat uns auch gelehrt, dass es immer nationalistische Bewegungen und autoritäre Politiker waren, die Kriege geführt haben, gegen Minderheiten oder Nachbarvölker. Diese waren und sind es, die erst mit verbaler und dann mit materieller Gewalt angeblich zur Verteidigung nationaler Interessen Konflikte vom Zaun brechen. Die Geschichte lehrt uns auch, dass sie damit über kurz oder lang stets Unglück letztlich auch über des eigene Volk gebracht haben.

Auch der zweite Weltkrieg begann mit der sogenannten „Heimholung“ nationaler deutscher Minderheiten bzw. mit dem Anschluss Österreichs in das Deutsche Reich und es war nur ein kleiner Schritt, andere Länder mit Krieg zu überziehen, um für Deutschland und seine angeblich höherwertigen Menschen neuen sogenannten Lebensraum im Osten Polen und anderen Ländern im Osten zu erobern und deren Bevölkerung zu dezimieren. Dieser Krieg endete mit über 60 Millionen Toten, unzähligen Vertriebenen und flächendeckenden Zerstörungen in fast allen Ländern Europas. Seine Folgen tragen den Keim immer neuer Konflikte in sich.

Das damalige Muster der Begründung von Annexionen erinnert stark an die Krim und die Ostukraine, die von Russland beansprucht werden.

Das alles wissen wir oder müssten es wissen. Trotzdem ist es mittlerweile selbstverständlich geworden, dass gegen Minderheiten gehetzt wird, dass man die NS-Verbrechen für einen Vogelschiss erklärt, dass die NPD unter dem Slogan „Migration tötet“ ihren Wahlwerbespot verbreiten lassen möchte, wobei doch gerade das Töten die Migration auslöst.

Dieselben Stimmen leugnen, dass es einen dramatischen Klimawandel gibt, der die Lebensgrundlage Hunderter Millionen Menschen vernichten und die größte Migrationswelle der Menschheitsgeschichte auslösen wird.

Warum sage ich das alles und warum hier zu diesem Anlass?

Wir alle haben uns darin eingerichtet in unserem idyllischem Dorf in der Schorfheide, wo es uns gut geht. Niemand von uns – außer unsere Neubürger*innen hat Krieg erlebt, musste Hunger erleiden und Haus und Hof aufgeben, um zu überleben oder das Überleben seiner Familie zu sichern. Wir haben uns daran gewöhnt, auf hohem Niveau zu klagen über „die da oben“, und zu behaupten, man könne ja doch nichts ändern – ohne sich aber selbst zu engagieren und zugleich sogar das Wahlrecht nicht auszuüben, wofür andernorts mit dem Einsatz des Lebens gekämpft wird.

An einem Tag wie diesem sollten wir dankbar sein, dass wir so lange in Frieden und Freiheit leben dürfen. Dass wir nicht, wie unsere Eltern und Großeltern vor feindlichen Truppen in die Wälder, in andere Landesteile oder sogar in andere Länder fliehen müssen, dass wir nicht von eigenen Soldaten, wie die Familie Wagner, hingemetzelt werden, weil wir nicht rechtzeitig auf den Treck gehen konnten.

Wir sollten uns fragen, warum wir oft so gleichgültig werden, gegenüber dem Leid, das um uns herum täglich aufs Neue geschieht. Warum es so lange dauerte, bis das Schicksal der Familie Wagner hier im Dorf die entsprechende Würdigung gefunden hat. Warum innerhalb von Stunden Spenden in Milliardenhöhe für den Wiederaufbau von Notre Dame zusammenkommen, was durchaus löblich ist. Aber zugleich beklagen wir mangels ausreichender privater Spenden und mangels der finanziellen Beiträge der Staaten zum Welternährungsfonds Millionen Hungernde und Millionen unversorgte Kriegsopfer in aller Welt. Da müssen wir uns fragen, ob unsere Empathie eher den Steinen als den Menschen gilt.

Drei Meldungen von heute dazu:

Mindestens 10.000 Menschen sind im jemenitischen Bürgerkrieg bislang getötet worden. Diese Zahl nannte der Uno-Koordinator für humanitäre Hilfe, Jamie McGoldrick. Bisher waren Behörden und Hilfsorganisationen von rund 6000 Toten im Jemen-Konflikt ausgegangen.

Der Uno-Koordinator erklärte auf einer Pressekonferenz im Jemen, die Zahl der Toten könne auch noch höher liegen. In einigen Gegenden gebe es keine medizinische Hilfe und Angehörige würden Opfer oft sofort begraben.

Zuletzt hatte die Uno im Mai Alarm geschlagen: Die humanitäre Hilfe für das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land sei dramatisch unterfinanziert. Die bisherigen Hilfszusagen der internationalen Gemeinschaft seien "skandalös niedrig". Rund 13 Millionen Jemeniten seien auf Hilfsleistungen angewiesen, 7,6 Millionen Menschen litten unter einer unsicheren Ernährungslage und brauchen dringend humanitäre Hilfe. Sie benötigten sauberes Trinkwasser und Nahrungsmittel. Rund 180.000 Kinder seien unterernährt. 2,5 Millionen Bürger seien zu Flüchtlingen geworden.“

Wie verhalten wir uns zu den täglich im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen, wo ist da unsere Anteilnahme bei Geschichten wie diese?:

Fahima sitzt im Wohnzimmer ihres Bruders in einem Einfamilienhaus in Paderborn, eingerahmt von ihren Geschwistern und deren Kindern. Doch es fehlen Fahimas vier Kinder, es fehlen außerdem zwei Neffen und eine Nichte sowie ein Schwager. Sie ertranken vor einem Jahr in der Ägäis, kurz bevor sie die gefährlichste Etappe ihrer Flucht aus Afghanistan beenden konnten.

Von der Türkei nach Griechenland wollten sie, aber ihr Boot kenterte am 16. März in Sichtweite der kleinen Insel Agathonisi. Nur drei der 19 Menschen an Bord überlebten. Bis heute ist nicht geklärt, warum die griechische Küstenwache den Schiffbrüchigen nicht zu Hilfe kam, obwohl sie alarmiert wurde und die genaue Unglücksstelle kannte. Stundenlang trieben die Flüchtlinge im Wasser, Fahima musste zusehen, wie ihre Kinder ertranken, eines nach dem anderen.“

So war es auch bei der Familie Wagner, deren Mitglieder mit ansehen mussten, wie die anderen Familienangehörigen vor ihren Augen ermordet wurden. Nicht draußen in der Welt, sondern hier bei uns im Pfarrhaus!

Und die Weltgemeinschaft schaut zu, wie mit Unterstützung von Mitgliedern des Sicherheitsrates der UN ein Warlord in Libyen Krieg führt gegen die von der UN anerkannten libyschen Regierung und die eigene Hauptstadt:

Die sogenannte Libysche Nationale Armee von Warlord Khalifa Haftar hat in der Nacht zum Sonntag erneut Luftangriffe auf die Hauptstadt Tripolis geflogen. Augenzeugen berichteten, sie hätten zuerst die Geräusche von Drohnen und Kampfflugzeugen gehört, danach mehrere Explosionen in der Nähe des Stadtzentrums. Die Milizen in Tripolis hätten mit Luftabwehrgeschossen und Maschinengewehrfeuer reagiert.

Der selbst ernannte Feldmarschall Haftar hatte vor knapp vier Wochen eine Offensive auf die libysche Hauptstadt gestartet, in der rund zwei Millionen Menschen leben. Er kontrolliert den Osten von Libyen und will nun die international anerkannte Regierung in Tripolis stürzen. Seit Jahren hatte sich Haftar, ein früherer General von Diktator Muammar al-Gaddafi, geweigert, seine Truppen dem Befehl der Regierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj zu unterstellen. Seine "Libysche Nationale Armee" ist ein Bündnis aus Gaddafi-Militärs, Salafisten und Söldnern.

Haftar genießt die Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate und Ägyptens, die ihm mit Luftangriffen bei der Übernahme der Macht im Osten Libyens halfen. Beide Länder haben Haftars Truppen nach Erkenntnissen der Uno auch militärische Ausrüstung geliefert, darunter Hubschrauber, und sogar einen Militärflughafen gebaut. Auch US-Präsident Donald Trump hatte Haftar, der nach Jahren im US-Exil auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, vor zehn Tagen in einem Telefonat seine Unterstützung bekundet - obwohl die Vereinigten Staaten sich bislang offiziell immer zur Regierung von Sarraj in Libyen bekannt hatten.

Bei den Kämpfen um Tripolis sind bislang nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO knapp 300 Menschen getötet und mehr als 1300 verletzt worden. Mehr als 35.000 Einwohner sind geflüchtet.“

Martin Luther King sagte einmal:

Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde.“

und Mark Twain:

"Man vergißt vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat. Aber man vergißt niemals, wo das Beil liegt."

Lassen Sie uns gemeinsam nach der Friedenspfeife suchen, schauen wir, was uns als Menschen miteinander verbindet und nicht danach, was uns trennt! Lassen Sie uns danach suchen, wie wir Gräben überbrücken und nicht neue aufreißen! Entdecken wir das Anderssein von Anderen als Geschenk, etwas Neues zu lernen - und nicht als Bedrohung!

Lassen Sie mich schließen mit einem Wort von Martin Luther, das leider heute so aktuell ist wie zu seiner Zeit:

"Wir sind allzulang genug deutsche Bestien gewesen, die nicht mehr können, denn kriegen und fressen und saufen. Lasst uns aber einmal die Vernunft brauchen, dass Gott merke die Dankbarkeit seiner Güter.