Wilhelm Krug: Wunschkonzert aus Böhmerheide

Geschrieben von Rainer Klemke am . Veröffentlicht in Geschichte

Wenn Max Rabe und sein Palastorchester z.B. den Foxtrott „In meiner Badewanne bin ich Kapitän…“ (Text von Krug und Bernauer, Musik von Berco) anspielen, dann freuen sich Erika Bastkowski aus Böhmerheide, dem ehemaligen Ortsteil von Groß Schönebeck und ihre Brüder, etwas von ihrem Vater zu hören. Die Tochter eines der erfolgreichsten Drehbuchautoren, Librettisten und Textdichters der Vorkriegszeit, Wilhelm Krug, hütet das Erbe des Berliners, der 1940 seine Heimat in Böhmerheide gefunden hatte. Dorthin übersiedelte er mit Frau und fünf Kindern. In seinem Holzhaus auf dem 1937 erworbenen Grundstück im Amselweg mit weit überkragendem Reetdach (das 1968 abbrannte) trafen sich Schauspieler, Komponisten und Rundfunkkollegen in den Kriegsjahren.

                    

Wilhelm Krug arbeitete seit Ende der 20er Jahre mit Ralph Maria Siegel („Capri Fischer“, „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“, „O mia bella Napoli“), dem Vater des heutigen Popproduzenten an der Operette „Glück am Ziel“. Mit dem Operettenkönig Eduard Künnecke („Der Vetter aus Dingsda“) schrieb er die Texte zu den Songs für den Tonfilm „Ein Lied klagt an“, u.a. die Serenade „Mein Herz singt heut’ von Liebe und Glück ein Lied“ oder den Pasadoble „Nimm bloß die Liebe nicht so wichtig“. Für den Film „Der lachende Dritte“ textete er zu Künneckes Melodien „Wenn am Samstag die Glocken erklingen“ oder den „Oberbayrischen Bauernmarsch“. Sein beeindruckendes Bühnenstück „Menschen am Schienenstrang“, das mit großem Erfolg u.a. im Theater der Josefstadt in Wien, im Dortmunder Stadttheater und im Berliner Schillertheater aufgeführt wurde, feierte die Kritik als „sichtbar und hörbar im Zeichen Gerhardt Hauptmann stehend“. Freundschaft verband Wilhelm Krug u.a. mit dem Schauspieler Franz Weber („Berlin Alexanderplatz“, „Tanz auf dem Vulkan“, „Rembrandt“, „Lache Bajazzo“), der ebenfalls in Böhmerheide ein Ferienhaus hatte und Luigi Bernauer („Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche“, „Wenn die Sonne schlafen geht“), einem der beliebtesten Rundfunk- und Schallplattensänger der dreißiger Jahre, der mit seinen typischen Wiener Liedern große Erfolge feiern konnte.

Unter den Gästen im Amselweg war auch Hans Albers, der mit den Dialogen des Drehbuchs für den 1938 fertig gestellten Spielfilm „Sergeant Berry“ unzufrieden war und sich die Dialoge von Wilhelm Krug auf den Leib schreiben ließ.

Zusammen mit Heinz Goedecke als Moderator konzipierte und schrieb Wilhelm Krug im September 1939 „die erfolgreichste Rundfunksendung des letzten Jahrhunderts“ (Deutsches Rundfunkmuseum, die dieser Sendung eine große Sonderausstellung widmete), die fortan sowohl hinsichtlich der Hörerbeteiligung wie auch des Spendensammelns für gewünschte Musikbeiträge in allen Rundfunkanstalten kopiert wurde und wird. Heinz Goedecke und Wilhelm Krug brachten es zu einer solchen Popularität, dass ihr Konterfei auf einem Briefumschlag als Adresse ausreichte. Eine Popularität, von der ein Heinz Quermann und ein Hans Rosenthal später nur träumen konnten.

Das „Wunschkonzert“ des Großdeutschen Rundfunks war oft die einzige Verbindung zwischen den deutschen Soldaten an der Front und den Angehörigen in der Heimat. Bis auf Hans Albers, der sich hierfür verweigerte, ließ es sich kein Star nehmen, bei der Livesendung im Großen Sendesaal des Rundfunks an der Masurenallee aufzutreten. Die Sendung ging ans Herz: Eine Mutter rief das Haus des Rundfunks an. Sie sagte: „Ich habe hier das Notizbuch meines lieben Jungen. Auf der letzten Seite stehen die Worte eines Liedes, das er immer so gerne gesungen hat. Das Lied heißt: „Gute Nacht, Mutter“. Jetzt ist mein Junge gefallen. Er schläft in Polen – und diese Zeilen sind wohl sein letzter Gruß an mich...“ Eine halbe Stunde später, die Mutter saß wieder an ihrem Rundfunkapparat – da erzählte Heinz Goedecke die von Wilhelm Krug blitzschnell bearbeitete Geschichte mit dem Notizbuch. Alles war still – im Sendesaal und überall in der Welt, wo die Erzählung aus den Lautsprechern kam. – Und jetzt wusste die Mutter: Walter ist nicht allein für sie, sondern für alle gefallen! „Gute Nacht, Mutter...“ sang der Lautsprecher.“

Die Popularität der dreistündigen Sendung, die jeweils im Winterhalbjahr zweimal wöchentlich über alle deutschen Sender ausgestrahlt wurde, war enorm.

wunschkonzert
Buchtitel zum „Wunschkonzert“

1940 erschien das Buch „Wir beginnen das Wunschkonzert für die Wehrmacht“ des Sprecher – oder wie es heute heißt „Moderatoren“ Heinz Goedecke und des Autors Wilhelm Krug. Ende 1940 wurde der Ufa-Film „Wunschkonzert“ mit Ilse Werner und Karl Raddatz uraufgeführt. Mit 23 Millionen Zuschauern bis 1945 nahm er die 2. Stelle unter allen NS-Unterhaltungsfilmen und einen zentralen Platz in der Propagandamaschine des 3. Reiches ein. Mit der Dreifachvermarktung von Sendung, Buch und Film „Wunschkonzert“ wurde in dieser Zeit Marketinggeschichte geschrieben.

Am 25. Mai 1941 endete mit der 75. Sendung die Wintersaison. Fast 15,5 Millionen Reichsmark waren im Rahmen der Sendung gespendet worden. Doch die Fortsetzung ab dem 7. September fand nicht statt. Ohne weitere Angaben wurde die Sendung abgesetzt. Offenbar waren Sendung und Autor zu populär geworden und die Gefahr, dass auch das Leid und die Trauer der Familien angesichts der steigenden Verluste durch die Sendung transportiert wurden, passte nicht mehr in das Propagandakonzept von Josef Goebbels – der selbst gern auch in Carinhall bei Groß Schönebeck zu Gast war.

Wilhelm Krug starb 1945 im Alter von nur 42 Jahren an TBC, eine damals weit verbreitete Krankheit, die auch seine Tochter Erika lange Jahre durchleiden musste und ihre Schwester mit 19 Jahren dahinraffte. Obwohl Wilhelm Krug nie Mitglied der NSDAP oder einer anderen Naziorganisation war und immer nur die Menschen mit seiner Textkunst erfreuen wollte, wurde seiner Familie nach dem Krieg der Erfolg der „Wunschkonzerte“ zum Fluch:

Seine Frau erhielt keine Witwenrente und die Lebensversicherung im Westen durfte ihr nicht ausgezahlt werden. Sie arbeitete bis in die fünfziger Jahre als allein erziehende Mutter von 5 Kindern auf dem Bau, u.a. auf dem Flughafen in Groß Dölln, wohin sie oft zu Fuß den weiten Weg durch den Wald laufen musste. Tochter Erika durfte keine weiterführende Ausbildung erhalten, obwohl schon bei Hilde Körber als Schauspielschülerin aufgenommen, durfte sie nicht nach West-Berlin. Später wurde sie als Leiterin der Konsumfiliale in Böhmerheide, wo sie nicht nur die Waren heranschaffte und verkaufte, sondern auch einen Imbiss für die Urlauber bereit hielt, eine allseits beliebte Institution. Ihre vom Vater ererbten Talente setzte sie mit ihren „Konsum-enten“ um und nahm den DDR – Alltag auf ungezählten Betriebsfesten und sonstigen Veranstaltungen zwischen Dresden und Prenzlau kabarettistisch auf die Schippe. Zur Erinnerung an ihren Vater Wilhelm Krug hat Erika Bastkowski einen Gedichtband zur 707 - Jahrfeier von Groß Schönebeck unter dem Titel „Zeitgenössische Geschichten – verwandelt in Gedichte“ veröffentlicht.